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Auf der Grundlage neurowisenschaftlicher Erkenntnisse werden in der letzten Zeit vermehrt Psychotherapiemethoden und -verfahren neu bewertet und evaluiert. Zunehmend werden in diesem Zusammenhang Wirkfaktoren diskutiert, denen Klaus Grawe (Prof. Dr. K. Grawe, ehem. Psychologisches Institut der Universität Bern) und seinen Mitarbeitern zufolge eine besondere Bedeutung für eine effektive psychotherapeutische Behandlung und in der psychotherapeutischen Ausbildung zukommen sollte.
Die hier vorgestellten Thesen von Klaus Grawe sollen eine Diskussionsgrundlage darstellen.
1.
Soll Psychotherapie (PT) insgesamt wirksamer werden, dann müssen nicht Therapiemethoden und Therapieformen, sondern Wirkfaktoren, Sichtweisen und PT-Ausbildungen empirisch validiert werden.
Die bis heute richtungsorientierten Therapieausbildungen müssen jede für sich als defizitär angesehen werden.
PT könnte insgesamt wesentlich wirksamer sein, wenn regelmäßig alle Perspektiven berücksichtigt und Wirkfaktoren realisiert würden, die aufgrund genügend zahlreicher und eindeutiger Forschungsergebnisse als empirisch validiert angesehen werden können.
2.
Die Wirkung der verschiedenen Therapiemethoden lässt sich auf eine Reihe allgemeiner Wirkfaktoren zurückführen. Hierbei hängt die Wirkung einer PT nicht von Therapiemethoden ab, sondern davon, wie gut diese allgemeinen Wirkfaktoren in der PT realisiert werden, und dies kann auf unterschiedlichen Wegen geschehen.
Diese Wirkfaktoren erklären einen großen Teil der Therapieerfolgsvarianz. Sie können als gesichert angesehen werden, unabhängig von den vorherrschenden Ordnungssystemen der PT, den Störungen und Therapiemethoden. Ihr Einfluss kann störungs- und methodenübergreifend als gesichert angesehen werden.
Wirkfaktor Problemaktualisierung
Sie machen Probleme, die in der Therapie verändert werden sollen, dem Patienten unmittelbar erfahrbar. Das kann z.B. dadurch geschehen, dass sie reale Situationen aufsuchen und herstellen, in denen Probleme auftreten, dass sie Personen in die Therapie einbeziehen, die an den Problemen beteiligt sind oder dass sie durch besondere therapeutische Techniken wie Imaginationsübungen, Rollenspiele o.ä. die Probleme erlebnismäßig aktualisieren.
Wirkfaktor Problembewältigung
Sie unterstützen den Patienten mit bewährten problemspezifischen Maßnahmen aktiv darin, positive Bewältigungserfahrungen im Umgang mit seinen Problemen zu machen.
Wirkfaktor motivationale Klärung
Und/oder sie fördern mit geeigneten Maßnahmen, dass der Patient ein klareres Bewusstsein der Determinanten seines problematischen Erlebens und Verhaltens gewinnt.
Wirkfaktor Therapiebeziehung
Bei allen Therapien trägt die Qualität der Therapiebeziehung signifikant zu einem besseren oder schlechteren Therapieergebnis bei. (Orlinski, Grawe & Parks, 1994; Orlinski, Roennestadt & Willutzki, 2004).
3.
Wichtig ist eine Patientenorientierung, nicht eine Methodenorientierung, d.h., dass auch allgemeine Wirkfaktoren patientenspezifisch verwirklicht werden müssen. Jeder Mensch bringt z.B. andere Ressourcen mit. Die Therapiebeziehung muss immer gemäß den besonderen Eigenarten, Möglichkeiten und Einschränkungen eines bestimmten Menschen gestaltet werden.
Für die Orientierung an den individuellen Gegebenheiten des einzelnen Patienten sind nicht nur seine Störungen relevant, sondern viele weitere Merkmale.
4. Das Spektrum der eingesetzten Interventionen steht nicht im Vorhinein fest, sondern wird in jedem Fall neu bestimmt. Hierzu trägt der Therapeut eine Reihe verbindlicher, empirisch validierter Perspektiven an jeden neuen Patienten heran. Dazu gehören:
Die interpersonale Perspektive
Der Therapeut als Experte für Wahrnehmung, Analyse und Gestaltung von Beziehungsabläufen innerhalb und außerhalb der Therapie. Der Therapeut als Experte für Eigenheiten im Beziehungsverhalten von Patienten, die sich ungünstig auf die Therapiebeziehung und damit die fruchtbare Zusammenarbeit auswirken könnten. Der Therapeut als Experte einer guten Therapiebeziehung auch unter schwierigen Bedingungen.
Die motivationale Perspektive
Der Therapeut als Experte für Bedürfnisse, Wünsche, Ziele und Befürchtungen des Patienten, die sein Erleben und Verhalten annähernd und vermeidend, bewusst und unbewusst bestimmen, welche Rolle sie für seine Probleme spielen, wie sie positiv als Ressource genutzt werden können und ob und inwieweit sie selbst als Problem in die Therapieplanung einbezogen werden müssen.
Die Entwicklungsperspektive
Der Therapeut als Experte für die lebensgeschichtliche Entwicklung des Patienten, die ihn für die Entwicklung seiner Störungen bereit gemacht hat, welche Rolle die dauerhaften Spuren dieser Erfahrung für ich heute spielen und wie sie ggf. in die Therapieplanung einbezogen werden sollten.
Die Ressourcenperspektive
Der Therapeut als Experte für die Nutzung und Ausweitung der positiven Möglichkeiten des Patienten, die für ein gutes Therapieergebnis noch wichtiger sind als die Bearbeitung seiner Probleme.
Grawe, K. (2004)
Literatur:
Grawe, K. (2004): Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe
Grawe, K. (2005): (Wie) kann Psychotherapie durch empirische Validierung wirksamer werden? Psychotherapeuten Journal 1/2005, S. 4-11
Verfasserin:
Dipl.-Psych. C. Erdmann
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