übersetzt von Oliver Schubbe
EMDR ist eine strukturierte Methode zur Traumaverarbeitung, die von Anfang an immer wieder auf andere Einsatzbereiche übertragen und um Elemente aus anderen Therapieverfahren wie auch um neue ergänzt wurde.
"Natural Flow EMDR" ist eine Vorgehensweise, die sich durch den Verzicht auf therapeutische Hypothesenbildung im Prozess und folgende Elemente ausgezeichnet: Hinhören auf das Wesentliche, Modulieren der Intensität im Prozess, Verwenden fortgesetzter bilateraler Stimulation, Lokalisieren und Aktualisieren positiver Körpersensationen und ein pendelnder Aufmerksamkeitsfokus zwischen positiven Ressourcen und Auslösern subjektiver Belastung.
"Hinhören auf das Wesentliche" bedeutet, sich darauf zu verlassen, dass alle möglichen Antworten im System des Klienten zu finden sind. Die Wahrnehmung der vom Klienten kommenden und zur Genesung führenden Information wird geschärft, indem der Therapeut auf die Bildung eigener Hypothesen verzichtet und Moment für Moment behutsam die vom Klienten kommende verbalen Äußerungen und Metakommunikation beobachtet. In Verbindung mit einem mit bilateraler Stimulierung aktualisierten Ausgangsthema nach dem EMDR-Protokoll erlaubt dieses Vorgehen Klienten Informationsverarbeitung bis hin zu eigenen existentiellen Wahrheiten.
"Natural Flow" ist gekennzeichnet durch längere Stimulationsserien oder fortgesetzte akustische bilaterale Stimulation, flexiblen Einsatz des Standardprotokolls, klientenzentriertes Mitgehen oder "Mitfließen" im Prozess, hörendes Verstehen der vom Klienten kommenden Therapiethemen und Information über den Genesungsverlauf, kreative Arbeit mit Ego-States, Körperempfindungen unter Verwendung des Farb- und Tastgedächtnisses und aktiv spiegelnder Techniken. Zu den Neuerungen zählen Augenbewegungen mit variierender Geschwindigkeit, Richtung, Pausen und Abstand (Wischtechnik), fließender akustischer Stimulation und taktiler Stimulation durch Fingertippen, Fingerdruck und mechanische Stimulationshilfen.
"Natural Flow EMDR" umfasst außerdem Teilprotokolle, eine Art der Verlangsamung, mehrfache und parallele Protokollanwendung, Bearbeiten emotionaler Zustände und selbstbefragendes [self-questioning] Einweben.
Die gegenwärtige Diskussion unter EMDR-Anwendern befasst sich mit den Möglichkeiten von EMDR bei der Behandlung emotional instabiler Klienten. Obwohl schon viele Ansätze für Klienten entwickelt wurden, die für das EMDR-Standardprotokoll zu instabil erscheinen oder eine zu hohe Tendenz zur Dissoziation haben (Ressource Development and Installation - RDI, Ego-State-Therapie, etc.), scheint ein übergreifender theoretischer Ansatz zu fehlen.
Obwohl die Ausbildung und der theoretische Ansatz verändert worden sind, wurde die Notwendigkeit, bei der Genesung der Psyche langsam und behutsam vorzugehen, von technischen Argumenten überschattet. Dies verdeutlicht der Fokus auf schnelle Augenbewegungen und die geringere Aufmerksamkeit auf die Vermittlung der akustischen und taktilen Stimulierung, die weniger irritierend sein können.
Ich bin davon überzeugt, dass die Variationsmöglichkeiten der Stimulierung - die Geschwindigkeit und Auslenkung der Augenbewegungen, die Entfernung der Hand vom Gesicht und wer Anfang und Ende der Stimulierung bestimmen sollte - weiter entwickelt, erforscht und in der Ausbildung vermittelt werden sollten. Das Konzept verlangsamten und behutsameren Prozessierens erscheint wirksam, nicht nur für leicht verletzbare, sondern für alle Klienten.
Die Option kontinuierlicher Stimulation hat bisher nicht in die Ausbildung Eingang gefunden, obwohl Geräte zur taktilen und akustischen Stimulierung und bilaterale Klang-CDs viele Anwender dazu gebracht haben, in diese Richtung zu experimentieren. Mir sind keine kontrollierten Vergleichsstudien dazu bekannt, so dass wir uns in dieser Hinsicht noch immer auf die überlieferte und eigene klinische Erfahrung verlassen müssen. Ich neige dazu, akustische Stimulierung zu bevorzugen und diese mit kurzen Serien sehr langsamer Augenbewegungen zu ergänzen, um so bei besonders schwer traumatisierten Klienten den Grad der Abreaktion so weit wie möglich herab zu setzen. Ich nutze sie auch dazu, positive Körpersensationen zu verstärken, die ich bei belastenden Körpersensationen als Ressource wähle.
Ich habe auch studiert was geschieht, wenn ich auf alle theoretischen Hypothesen verzichte und dafür mit höchster Aufmerksamkeit zuhöre und beobachte, "auf das Wesentliche höre", während ich den Klienten dabei begleite, etwas Entscheidendes über sich selbst zu erkennen. Dieses Vorgehen ist von Francine Shapiros Grundsatz abgeleitet, dass jedes System eine Tendenz zur Heilung in sich trägt, die sich unter geeigneten äußeren Umständen durchsetzt. Dies geschieht leichter, wenn der Therapeut den Klienten beim Prozessieren möglichst ungestört lässt, gerade auch dann, wenn er nicht versteht, wohin es geht.
Dies erfordert, ein hohes Maß an direktem therapeutischem Einfluss aufzugeben und sich dem Potential des Klienten und in der menschlichen Fähigkeit zur Genesung anzuvertrauen. "Hinhören auf das Wesentliche" ist eine Gradwanderung zwischen der Wirksamkeit des inneren Prozesses und dem Bedürfnis des Klienten, seine Geschichte zu erzählen, im Hinblick darauf, was von beidem in jedem Moment gerade dran ist. Die genaue Beobachtung und Einfühlung in den Gesichtsausdruck, in Körperbewegungen besonders der Hände, Intonation und Schwankung der Stimme wie auch die Wahl und das Timing von Worten und Metaphern erfordert gleichzeitig, unseren eigenen inneren Prozess, Intuition, klinische Orientierung und Erfahrung etwas in den Hintergrund treten zu lassen, jedoch nur insofern, als diese auf fertigen Meinungen, Konzepten und Urteilen basieren, die uns daran hindern würden, mit dem Klienten zu seinen eigenen Antworten ("Ja, das ist es!") hin im Fluss zu bleiben.
Eine solche Arbeitsweise zwingt uns immer wieder zu der Erkenntnis, dass wir die Antworten, um die es geht, nicht anstelle des Klienten geben können. Bestenfalls sind wir in der Lage, Struktur zu geben, Führung anzubieten, das Leid zu bezeugen und unsere eigenen Bedürfnisse und die Kontrolle der Situation so weit aufzugeben, dass wir den Respekt, die bedingungslose Akzeptanz und den Halt bieten können, den der Klient für seine Genesung benötigt. Unsere Weisheit zeigt sich mehr in der richtigen Einschätzung dessen, was wir nicht wissen als in dem, was wir wissen.
Ich möchte jedoch beginnende EMDR-Therapeuten bitten, methodisch wie theoretisch solide EMDR-Grundkenntnisse zu entwickeln. Konzentrieren Sie sich darauf, das Fingerspitzengefühl und Vertrauen zu entwickeln, das nur entsteht, wenn Sie sich die Grundlagen vollständig angeeignet haben. Sie werden jedoch von Anfang an Gewinn davon haben, die therapeutische Haltung einzunehmen, die EMDR auszeichnet - dass Genesung möglich ist - selbst da, wo sie noch nie war.
David Grand, PhD, Psychotherapeut in freier Praxis in New York, ehem. Mitarbeiter des EMDR Instituts von Francine Shapiro mit psychoanalytischer Ausbildung, EMDRIA-akkreditierter Supervisor. Entwickler und Produzent von CDs zur akustischen Stimulierung (BioLateral Sound Recordings). Verfasser des Buches "Emotional Healing at Warp Speed: The Power of EMDR". Seminar im Institut für Traumatherapie am 6./7.1.2007 (Brainspotting II).