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Alle Rechte beim Institut für Traumatherapie Oliver Schubbe bzw. beim Autor.
 

David Grand

Brainspotting (2011)

Ein neues duales Regulationsmodell für den psychotherapeutischen Prozess

übersetzt von Oliver Schubbe

auch erschienen in: Trauma & Gewalt 3 (2011), S. 276-285

Zusammenfassung

»Brainspotting« (BSP) ist ein neuartiger psychotherapeutischer Ansatz, der davon ausgeht, dass therapierelevante physiologische und emotionale Empfindungen mit Augenpositionen korrespondieren und über das Gesichtsfeld zielgerichtet aktiviert werden können. Während unverarbeitete und tief im impliziten Gedächtnis verborgende Erfahrungen über eine entsprechende Augenposition beziehungsweise den »Brainspot« (brain= Gehirn; spotting= erkunden (Anmerkung des Übersetzers)) aktiviert werden, können sie erneut verarbeitet werden. BSP nutzt zwei Wirkmechanismen, die »fokussierte Aktivierung« impliziter Gedächtnisinhalte und die so genannte »fokussierte Achtsamkeit« im therapeutischen Prozess.

Das Ziel der Methode ist eine vollständige Auflösung blockierter Erregung im Gehirn und im Körper. Brainspotting ist ein Ansatz zur Aktivierung impliziter Information und von Ressourcen auf der Grundlage psychodiagnostischer und entwicklungsbezogener Überlegungen. Das Brainspotting-Modell untermauert die Gestaltung der therapeutischen Beziehung und die spezifisch-therapeutische Vorgehensweise, sowohl philosophisch als auch physiologisch. Die Methode nutzt systematische Aktivierung von impliziter Information und entsprechenden Ressourcen des Klienten. BSP ist ein offenes und umfassendes Modell, das den Therapeuten (die neutrale Form »Therapeut« soll ab hier für beide Geschlechter gelten, ebenso »Klient«) dazu einlädt, die zuvor erlernten Methoden wie auch sein praktisches Wissen weiter zu verwenden.

Schlüsselbegriffe Brainspotting, Trauma, Posttraumatische Belastungsstörung, Traumatherapie, EMDR

Hintergrund

Brainspotting (BSP) wurde von David Grand, Ph. D., dem Autor dieses Artikels, im Jahre 2003 entdeckt. Dieser Artikel soll die Entdeckung und die laufende Entwicklung von BSP aus methodischer, klinischer, neurobiologischer und philosophischer Perspektive beleuchten (Grand, 2009).


BSP ist ein psychotherapeutischer Ansatz, der das Gesichtsfeld nutzt, um für die Verarbeitung »relevante Augenpositionen« (oder Brainspots) zu identifizieren, von denen man annimmt, dass sie implizite Gedächtnisinhalte und entsprechende innere Erfahrungen neurologisch aktivieren. Um den Brainspot festzulegen, wird der Klient angeleitet, sich in einen Zustand »fokussierter Aktivierung« zu versetzen. Dieser Zustand ist meist eine Reaktion auf ein vorausgegangenes Psychotrauma oder darauf bezogene emotionale oder körperliche Symptome. Eingeschätzt wird die Intensität der Aktivierung mit der so genannten »SUD-Skala« (Subjective Units of Disturbance Scale), die von 0 - 10 (am niedrigsten - am höchsten) reicht. Sie misst den momentanen Belastungsgrad des Klienten (Wolpe, 1969). Anschließend wird der Ort der höchsten Körperaktivierung bestimmt (Ausnahme: Verwendung des Ressourcenmodells). Gegenwärtig gibt es sechs verschiedene Methoden, um die Augenposition zu bestimmen. Sie werden im Folgenden vorgestellt und diskutiert.

Nach Festlegung des Brainspots wird der Klient gebeten, seine Aufmerksamkeit auf seine innere Wahrnehmung zu richten. Dort können Affekte, Erinnerungen, Kognitionen und vor allem Körperempfindungen auftauchen. Diese Form der Selbstbeobachtung wird »fokussierte Aufmerksamkeit« genannt. Sie ist mit einem meditativen Zustand vergleichbar, geschieht aber im Zustand fokussierter Aktivierung impliziter Gedächtnisinformation. Zu verschiedenen vom Klienten und Therapeuten im Prozess gemeinsam bestimmten Zeitpunkten folgt ein kurzes Gespräch zur Überprüfung des Verarbeitungsprozesses. Bei anhaltender fokussierter Aufmerksamkeit wird der Klient durch den Therapeuten angeleitet, seine momentane körperliche Wahrnehmung zu beschreiben.

Dieser Prozess setzt sich fort, bis der Klient die Auflösung seiner Missempfindungen rückmeldet, die von einem SUD-Wert (momentaner Belastungsgrad) von Null gekennzeichnet ist. Dieser Zustand wird noch einmal durch das so genannte »Zitrone Auspressen« überprüft und stabilisiert. Hierbei wird der Klient dazu aufgefordert, den Belastungsgrad noch einmal willentlich zu erhöhen. Anschließend wird wieder an der Auflösung der Aktivierung gearbeitet. Das »Zitrone- Auspressen« wird solange wiederholt, bis keine Restaktivierung mehr vorhanden ist.

Je nach Störungsbild, Komplexität der Thematik und Verarbeitungskapazität des Klienten, beträgt die Behandlungsdauer zwischen einer Sitzung und mehreren Monaten oder Jahren (Grand, 2009).

Entdeckung des Brainspottings

BSP wurde von David Grand 2003 während der Behandlung einer 16-jährigen Eiskunstläuferin entwickelt. Die Klientin kam ein Jahr lang jede Woche zu einer Doppelstunde, um starke Leistungsprobleme mit dissoziativem Charakter zu behandeln. So berichtete sie beispielsweise, dass sie in der Aufwärmphase vor den Wettbewerben entweder das Gefühl habe, sie habe ihre Kür vergessen, oder sie könne ihre Beine nicht mehr spüren. Ihre sportlichen Leistungen lagen weit unter ihren tatsächlichen Fähigkeiten. Obwohl sie talentiert genug dafür gewesen wäre, konnte sie auf der nationalen Wettkampfebene nicht überzeugen.

In der Behandlung setzte Grand das von ihm zum Sportlercoaching entwickelte »Grand System« ein (Grand, 2001). Dieser Ansatz vereint methodische Teile des EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing nach Shapiro, 2001), des SE (Somatic Experiencing nach Levine, 1997), »Micromovements« und der »Relational Insight-oriented Therapy«. Ursächlich für die Probleme der Klientin waren eine Vielzahl von Traumata, wie die Zurückweisung durch ihre Mutter, die Scheidung ihrer Eltern, als sie sechs Jahre alt war, sowie eine lange Folge von Sportverletzungen und Niederlagen. Die Therapie war erfolgreich, mit einigen Ausnahmen. So gelang es der Klientin nicht, den »dreifachen Rittberger« zu springen.

Dieser Sprung ist für eine Meisterschaftskämpferin wie die Klientin nicht der schwierigste. Dementsprechend machte die Unfähigkeit, diesen Sprung auszuführen, eine erfolgreiche Kür für sie unmöglich. In der Therapie wurde die Klientin angehalten, den Sprung in Zeitlupe zu imaginieren und in sensu in dem Moment innezuhalten, in dem sie das Gefühl hatte und »sah«, dass sie erneut versagen würde. Anschließend wurde sie angewiesen, die horizontalen Handbewegungen des Therapeuten mit ihren Augen zu verfolgen. Nach wenigen Blickrichtungswechseln war bei der Klientin ein deutlicher Lidschlag zu beobachten, und die Augenbewegung erstarrte (Martinez-Conde & Macknik, 2007).

Durch diese Reaktion aufmerksam geworden, hielt Grand reflexartig mit seinen Handbewegungen inne, wobei seine Hand ungefähr einen Meter von den Augen der Klientin entfernt war. Während der folgenden zehn Minuten zeigte sich ein bemerkenswert flüssiger Verarbeitungsprozess. Bei der Klientin tauchte eine ganze Serie bisher ungenannter Erinnerungen an traumatische Ereignisse auf, die sie schnell verarbeiten und auflösen konnte. Was jedoch noch erstaunlicher war, war die große Anzahl von bereits bearbeiteten Traumata, die nun noch einmal auf einer tieferen Ebene verarbeitet wurden. Am Ende der zehn Minuten verlangsamte sich die Verarbeitung, bis sie letztlich beendet war, und der erstarrte Blick der Klientin sich löste. Dies war an sich schon ein sehr ungewöhnliches Ereignis, das jedoch durch einen Anruf der Klientin am darauf folgenden Morgen noch übertroffen wurde. Sie berichtete, dass sie wiederholte Male ohne Probleme den »dreifachen Rittberger« gesprungen sei. Ihre Probleme traten in der Folge nie wieder auf.

Dieser Fall fesselte die Aufmerksamkeit von David Grand. Er begann bei anderen Klienten nach ähnlichen Fixierungen der Blickrichtung zu suchen, indem er erneut seine Finger langsam über das Gesichtsfeld der Klienten bewegte. Während er die Klienten beobachtete, wiederholte er den zuvor beschriebenen Ablauf und hielt seine Handbewegung an der Stelle an, an der die Augenbewegung unregelmäßig war.

In der Folge bemerkte nicht nur Grand eine Beschleunigung und Vertiefung der Verarbeitung, auch die Klienten berichteten davon. Viele Klienten machten Aussagen wie »das ist wirklich anders«, »das fühlt sich viel intensiver an«, »ich kann es im gesamten Hinterkopfbereich spüren« oder »ich kann es wirklich in meinem Körper spüren«. Von besonderer Bedeutung waren die Berichte von Klienten, die selbst als Therapeuten tätig waren. Sie gaben an, dass sie mit dem neuen Ansatz ganz klar andere Erfahrungen und Ergebnisse als mit anderen Methoden erlebten. Anschließend versuchten sie anhand der Erläuterungen Grands ebenfalls, die Methode bei ihren eigenen Klienten anzuwenden. Die Therapeuten berichteten daraufhin von ähnlichen Erfahrungen; die Methode hätte zu einer tieferen Verarbeitung und schnelleren Belastungsauflösungen geführt.

Grand hielt fest, dass er durch seine eigenen Beobachtungen und die Rückmeldungen seiner Kollegen innerhalb eines Monats auf eine neue Methode gestoßen war, vielleicht sogar auf ein neues Paradigma.

Weiterentwicklung des Brainspottings

Während er die Methode in den nachfolgenden Monaten anwendete, bemerkte Grand, dass er einen ähnlich tiefen und schnellen Prozess anregte, wenn er die horizontalen Augenbewegung bei irgendeiner reflexartigen Reaktion stoppte, egal ob bei einem ein Blinzeln, schnellem Atmen, Husten, starkem Schlucken, Mundbewegungen, Pupillenweitung oder -verengung, Kopfneigen oder Veränderungen des Gesichtsausdrucks.

Der Autor fand diese neuartigen Reaktionen ebenso erstaunlich wie fesselnd, vor allem auch die Tatsache, dass dies seine Arbeit mit den Klienten noch effektiver und erfolgreicher gestaltete. Er suchte nach einem Namen für die Methode und entschied sich für »Brainspotting«, da er annahm, dass diese »Spots« des Sehfeldes eine Art Pforte zu spezifischen Arealen und Funktionen des Gehirns darstellten.

Während der folgenden sechs Monate sammelte der Autor zahlreiche Belege mit dieser neuen Methode bei Klienten mit verschiedensten Diagnosen, Geschichten und Symptomen. Es stellte sich heraus, dass die Eingrenzung durch das Anhalten der Augenbewegung und die möglichen Begleiterscheinungen in Form von neurologischer Aktivierung einen einzigartigen Ansatz in der psychotherapeutischen Arbeit ermöglichten.

Grand erkannte die Notwendigkeit eines sowohl strukturierten, als auch einfachen Weges um die »fokussierte Aktivierung« des Klienten zu ermöglichen. Zunächst musste die optimale Gehirnaktivierung der Person ermittelt werden. Diese wird benötigt, um die relevante Augenposition zu verorten. Grand entwickelte einen simplen Ablauf, um diesen Prozess in Gang zu bringen.

Er begann zunächst damit, den Klienten zu fragen, ob dieser bezüglich der jeweiligen Thematik, die er bearbeiten wolle, »aktiviert« sei. Die Aktivierung wurde mittels der SUD-Skala (Subjective Units of Disturbance) festgestellt. Wenn die Aktivierung nicht stark genug war, wurde der Klient dazu angehalten »sich in sich selbst einzufühlen und zu tun, was immer auch nötig sei, um den Aktivierungslevel zu erhöhen.« War die Aktivierung hoch genug, wurde der momentane Belastungsgrad von 0 (niedrigster Wert) bis 10 (höchster Wert) auf der SUD-Skala ermittelt. Anschließend wurde mittels der Anweisung zur Selbstbeobachtung (»Wo fühlst du es am meisten?«) der Ort der höchsten körperlichen Aktivierung festgelegt. Nachdem die »fokussierte Aktivierung« nun eingeleitet war, wurde der Ablauf durch die Lokalisierung des Brainspots im Gesichtsfeld des Klienten vervollständigt. Im Anschluss wurde der Klient in den Prozess der »fokussierten Aufmerksamkeit« geleitet. Das Ende des Prozesses markierte die Auflösung der Aktivierung.

»Outside -« und »Inside Window Brainspotting«

Im weiteren Verlauf der Anwendung der Methode, beobachtete Grand die Reaktionen seiner Klienten genau. Hierbei stellte er fest, dass einige Klienten Rückmeldung über bestimmte Blickrichtungen gaben, die nach eigenen Aussagen eine innere Resonanz hervorriefen.

Die Klienten leiteten den Therapeuten an, bei spezifischen Blickrichtungen innezuhalten, an denen sie die Aktivierung am meisten spürten. Begleitet wurde dies von Aussagen, wie »Sie sind gerade daran vorüber geglitten« oder »bewegen Sie den Pointer (Teleskopstab) dort hin«. Dies überraschte den Autor, hatte er doch nicht angenommen, dass die Brainspots der Klienten durch die eigene innere Wahrnehmung lokalisiert werden könnten. Diese Entdeckung ermöglichte ihm nun zwei Optionen zur Ermittlung der relevanten Augenposition auf der Horizontalen des Gesichtsfeldes.

Grand nannte den Ursprungsort, welcher durch die externale Beobachtung der Reflexe bestimmt wird »Outside Window Brainspot«. Der Ort, der durch die vom Klienten selbst beobachtete, internale Aktivierungssteigerung verortet wird, bezeichnete er als »Inside Window Brainspot«. Anstatt also die »Inside Window«-Augenposition selbst zu bestimmen, fragte Grand die Klienten, wann sie sich am meisten aktiviert fühlten, wenn sie links, bzw. rechts vorbei oder aber direkt auf den Pointer blickten. Nachdem der Spot verortet war, erfolgte eine Feinabstimmung durch den Therapeuten, um den exakten Punkt der Aktivierung zu bestimmen.

Die Klienten wiesen den Therapeuten nicht nur an, den Pointer nach links oder rechts zu bewegen, sondern auch nach oben oder unten. Diese weitere Entdeckung brachte Grand dazu, dass er zunächst nach Brainspots entlang der horizontalen x-Achse und anschließend (durch Aufwärts- und Abwärtsbewegungen) nach solchen auf der y-Achse suchte. Dadurch entwickelte sich BSP von einer eindimensionalen zu einer zweidimensionalen Methode.

Die beobachtende Haltung

Grand hatte vor seiner Entdeckung des BSP eine modifizierte EMDR-Version entwickelt, welche er als »Natural Flow EMDR« (Grand, 2001) bezeichnete. Er bezog vieles aus diesem Ansatz in die spätere Entwicklung des BSP ein. Der Grundgedanke des Natural Flow Ansatzes beinhaltet das »hypothesenfreie Modell« (»no assumptions model«) oder auch »die beobachtende Haltung« (»observe everything, assume nothing«) sowie »body resourcing« (entliehen aus dem Somatic Experiencing), (Levine, 1997), langsamere Augenbewegungen und sanfte, bilaterale auditive Stimulation (Grand, 2002). All diese Methoden waren für die Entwicklung des BSP relevant und flossen mit ein.

Der Grundgedanke einer beobachtenden Haltung entstand durch die häufige Erfahrung Grands, dass ihm immer wieder Unerwartetes in seinen Sitzungen widerfuhr. Dadurch erhielt er einen ständigen Wissenszuwachs, bezogen auf die enormen Fähigkeiten des menschlichen Gehirns und wie wenig davon man doch durch die alleinige äußere Betrachtung zu erschließen vermag. Dies entspricht dem klinisch-philosophischen Ansatz, den Klienten nicht zu leiten, sondern dem Prozess unkritisch und vorurteilsfrei zu folgen.

Diese Haltung bezieht sich allerdings nicht nur auf die assoziativen Verarbeitungsprozesse, sondern auch auf die neuronalen Aktivitäten. Grand vertritt die Ansicht, dass in eine Vielzahl klinischer Modelle Vorannahmen eingebettet sind und diese einen großen Teil der Verfahren und Hypothesen von Therapeuten ausmachen. Daher fordert er in seinen Seminaren die Teilnehmer gern heraus, indem er ihnen bei der Analyse von Fallbeispielen die Frage stellt, wie sie dieses oder jenes schon im Voraus wissen konnten.

Das »Duale Affektregulationsmodell«

BSP wird, ähnlich dem »Interpersonal Neurobiology Model« (Siegel, 2010), als ein »Duales Affektregulationsmodell« (dual attunement model) bezeichnet. Dies beschreibt den Sachverhalt, dass BSP gleichzeitig den Affekt auf Beziehungsebene und auf neurobiologischer Ebene reguliert. Die Regulierung erfolgt mittels der Lokalisierung des Brainspots.

An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass Grand vor seiner Entdeckung des BSP, 27 Jahre lang als Therapeut, mit Schwerpunkt auf der Klient-Therapeut-Beziehung arbeitete. Seine Grundausbildung erhielt er in psychoanalytisch und psychodynamisch fundierter Psychotherapie. Hierdurch erweiterte er seine Fertigkeiten in Bezug auf das empathische Zuhören und das Wissen um die verschiedenen Kommunikationsebenen der Klienten. Da das analytische Modell Grand zu strukturiert erschien, begann er die Klienten-Therapeut-Interaktion offener, zugänglicher und flexibler zu gestalten. Dies lenkte seine Haltung bezüglich des empathischen Verstehens von der Beobachtung hin zur Interaktion.

Die empathischen Fähigkeiten eines Psychotherapeuten vertiefen und erweitern sich über die Jahre und Jahrzehnte praktischer Arbeit und werden von vielen sowohl als Kunst, als auch als Wissenschaft betrachtet. Deshalb ist es wichtig zu erwähnen, dass BSP von einem Kliniker mit über 30 Jahren Berufserfahrung entdeckt und entwickelt wurde.

Demgegenüber ist die Bestimmung eines Brainspots, aus neurobiologischer Sicht sehr technisch. Im Wesentlichen scheint dies nichts mit Psychologie zu tun zu haben. Vielmehr ist sie ein Prozess, bei dem entweder der Therapeut den Brainspot bestimmt oder der Klient angibt wo er die stärkste Aktivierung verspürt. Die Festlegung des Brainspots ist demzufolge vergleichbar mit einer medizinischen Untersuchung. Aus dem Blickwinkel des technischen Aspekts heraus entspricht BSP also einer vollkommen anderen Form der Wechselseitigkeit, die sich stark von der sonstigen Klient-Therapeut-Beziehung unterscheidet.

Doch im Vergleich zu vielen anderen neurotechnologischen Modellen wurde BSP von einem klinischen Standpunkt aus konzeptualisiert und entwickelt. So ist es zwar nicht Ziel einer Therapeut- Klient-Beziehung, die Methode des BSP zu fördern. BSP hingegen beansprucht durchaus, eine heilende Therapeut-Klient-Beziehung zu fördern und zu unterstützen. Es wird bezüglich der Affektregulation weder der Ebene der Technik noch der Beziehungsebene eine größere Bedeutung beigemessen. Die Betrachtung der Synthese der beiden Ebenen, das »Duale Affektregulationsmodell«, ist das sine-qua-non des BSP und somit die Quelle seiner Wirkweise.

Ein Integratives Modell

BSP ist Grand zufolge einzigartig, da es ein integratives Modell darstellt. Oft wird bei der Lehre klinisch-technischer Ansätze von dem zugrunde liegenden Modell nicht abgewichen. Andere Modelle wiederum tolerieren die Integration von weiteren Annahmen mit einer gleichgültigen »Wenn du es machst, ist es ok«-Haltung.

BSP hingegen »erlaubt« nicht nur eine Integration, hier ist sie sogar unbedingt erwünscht. Diese spezielle Haltung macht deutlich, wie stark BSP mit dem Bewusstsein verzahnt ist, dass der menschliche Organismus viel zu unermesslich ist, um ihn durch seine äußerliche Betrachtung zu verstehen. Es kann demzufolge kein Modell geben, das das gesamte System umfasst.

Dieser enorme Umfang erklärt, warum so viele verschiedene Modelle zur menschlichen Psyche existieren und weshalb die meisten von ihnen Wirksamkeit aufweisen. Somit kann jeder beliebige klinische Ansatz in Kombination mit BSP oder in Bezug auf einen Brainspot genutzt werden.

Die entsprechende Komplexität der Reaktionen auf BSP macht es notwendig, dass ein Therapeut sehr erfahren in Bezug auf die verschiedenen Modalitäten ist, um sowohl das Unerwartete zu verstehen, als auch darauf reagieren zu können. David Grand stellte außerdem fest, dass Auszubildende mit den unterschiedlichsten klinischen Hintergründen Gemeinsamkeiten innerhalb des BSP sehen, was erneut den integrativen Charakter dieses Ansatzes bestätigt.

Neurophysiologie

Die konkreten Mechanismen, die dem BSP-Ansatz zu Grunde liegen, sind entweder noch zu erforschen oder liegen außerhalb des Kenntnisstandes Grands. Es ist bekannt, dass das Auge einen Fortsatz des Gehirns darstellt. Das Auge beinhaltet über 125 Millionen lichtsensitive Nervenzellen (Photorezeptoren), welche elektrische Signale erzeugen, die dem Gehirn das Sehen ermöglichen. Es gibt sowohl bewusste, als auch unbewusste visuelle Systeme, die über separate Pfade im Gehirn verlaufen. Das unbewusste System ist für die Bewegungswahrnehmung zuständig, das bewusste System für die Objekterkennung (Carter, 2009).

BSP postuliert »wo man hinschaut beeinflusst, wie man sich fühlt« und dass verschiedene spezifische Blickrichtungen mit neuronaler Aktivierung und internaler Wahrnehmung zusammenhängen. Es zeigt sich außerdem, dass durch Beibehalten dieser Blickrichtung bei gleichzeitiger »fokussierter Aktivierung«, die neuronale Aktivierung stärker gebündelt wird. Dies führt zu einer ökonomischeren Verarbeitung und Auflösung der neuronalen und gefühlten Wahrnehmung.

Grand geht davon aus, dass der Mensch starke Selbstheilungskräfte besitzt (Badenoch, 2008). Er nimmt außerdem an, dass sie durch den Überlebensinstinkt gesteuert werden, der allen Tieren und Menschen innewohnt. Außerdem ist er der Ansicht, dass es keinen Anteil im menschlichen System gibt, der nicht auch alle anderen Anteile und die Gesamtheit des Systems beeinflusst.

Diese Überzeugungen erklären, warum BSP als Ansatz entwickelt wurde, der sich sowohl auf das Gehirn als auch auf den Körper bezieht. BSP schließt außerdem die Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen mit ein, indem anerkannt wird, dass die ursprüngliche Bindung zur Mutter/primären Pflegeperson die Basis der Therapeut- Klient-Beziehung bildet. Sie liegt allen psychophysiologischen Entwicklungen und Heilungsprozessen zugrunde.

Das »Ressourcenmodell«

Das »Ressourcenmodell« ist ein wesentlicher Aspekt der BSP-Methode. Es erweitert die Anwendung von BSP um eine Therapie der am stärksten beeinträchtigten Klienten, diejenigen mit einer dissoziativen Störung. Diese Klienten sind meist zu stark belastet, um die so genannten »power Therapien« (in den USA Bezeichnung für Therapien die, im Unterschied zur Gesprächspsychotherapie, stärkeren Körperbezug aufweisen, wie beispielsweise EMDR oder Somatic Experiencing (Anmerkung des Übersetzers)) zu nutzen. Kern des »Ressourcen Modells« ist die so genannte »Körperressource«.

Die Verwendung der »Körperressource« entstand durch die Auseinandersetzung Grands mit den Annahmen Peter Levines, dem Erfinder des »Somatic Experiencing (SE) Models« (Levine, 1997). Levine ist der Ansicht, dass EMDR zu stimulierend sei, vor allem bezüglich der körperlichen Aktivierung. Das daraufhin von Levine entwickelte »Pendulations Modell« bedingt, dass mehr Zeit und Aufmerksamkeit auf die »Körperressource« verwendet wird (»healing vortex«) und weniger auf die anderen Orte der körperlichen Aktivierung (»trauma vortex«). So brachte Levine Grand in einem seiner SE-Seminare bei, die Klienten an den Ort ihres Körpers »zu führen«, an dem sie sich ruhiger und gefestigter fühlten.

Dementsprechend entwickelte Grand das EMDR-Protokoll, im Rahmen seines »Natural Flow-Ansatzes«, weiter und leitete den Klienten an, sich von der Körperaktivierung hin zur Körperressource zu bewegen, um von dort aus mit der Verarbeitung zu beginnen. Dies schien eine geringere Abreaktion freizusetzen und einen sanfteren Verarbeitungsprozess, gerade bei instabilen, komplex traumatisierten und dissoziativen Klienten, zu ermöglichen.

Grand beobachtete, dass die alleinige Beibehaltung der Augenposition nicht immer ausreichend Verarbeitungsmöglichkeiten für die erwähnten Klienten beinhaltete. Durch das zusätzliche Aufnehmen der Körperressource während der Fixierung eines Brainspots, erkannte er jedoch, dass viele Klienten den emotionalen Umbruch besser aushalten konnten und dass sich eine effektivere Körperaktivierung und Körperverarbeitung vollzog. Er bemerkte außerdem, dass die Brainspots nicht nur durch den entsprechenden Ort der Aktivierung entdeckt werden konnten, sondern auch durch den Ort der inneren Ruhe, welchen er als »Ressourcenspot« bezeichnete. Dies war der Beginn des ressourcenorientierten Brainspottings, welches von Lisa Schwartz weiterentwickelt wurde (Schwarz, 2010).

Bilaterale Klänge

Ein anderer Aspekt, den Grand aus seinem Natural Flow Ansatz in die BSP-Methode integrierte, war das bilaterale Hören, mittels seiner »Bio- Lateral Sound« CDs. Diese CDs wurden entwickelt, um Klänge und Musik langsam und sanft von einem zum anderen Ohr wandern zu lassen. Die CDs waren die erste Modalität zur bilateralen Stimulierung, die Grand innerhalb seines »Natural Flow«-Ansatzes, nutzte. Mit der Entwicklung von BSP unterbrach er jedoch die Anwendung des bilateralen Hörens, da er es für die neue Methode als ungeeignet erachtete. Dennoch baten einige Klienten um zusätzliches bilaterales Hören während der Behandlung.

Überraschenderweise entdeckte Grand, dass bei den meisten Klienten, die Cds eine »auditive Ressource« freisetzten, die den eigentlichen Verarbeitungsprozess verbesserte und unterstützte. Entsprechend wendete er auch bei den übrigen Klienten bilaterales Hören erfolgreich an. Die Ausnahme bildeten die hyperstimulierten Klienten, bei denen auch das Ressourcen Modell (2010) nicht zu einer Beruhigung führte.

Wichtig zu erwähnen ist, dass die gemeinsame Anwendung von BSP und den »Bio- Lateral Sound« CDs aktivierend auf das neuro-visuelle und das neuroauditive System wirkt. Die genaue Wirkweise dieser dualen sensorischen Aktivierung und ihrer Effekte bedarf allerdings noch weiterer Forschung.

»Ein-Augen-Brainspotting«

Wie schon zuvor erwähnt, ist BSP ein offenes, integratives, sich kontinuierlich weiterentwickelndes Modell. Eine der ersten Integrationsversuche war das »ein-Augen-BSP«. Es wurde in Anlehnung an die Arbeit von Fredric Schiffer entwickelt. Schiffer postulierte, dass beide Hirnhemisphären wie separate Persönlichkeiten funktionieren (Schiffer, 1999). Der Zugang zu beiden Gehirnhälften über das visuelle System sei hemisphärisch gekreuzt. Entsprechend entwickelte er Brillen, mit denen das Sehfeld beider Augen so eingeschränkt wurde, dass Licht nur aus dem äußersten rechten beziehungsweise linken Sehwinkel einfallen konnte. Dadurch wurde die jeweils andere Hemisphäre aktiviert. Durch einen Wechsel der Brillen in bestimmten Zeitabschnitten, beobachtete Schiffer eine integrative Rückmeldung, welche zur Aktivierungsauflösung in Bezug auf die jeweilige Thematik des Klienten führte.

Vor der Anwendung des BSP, verwendete Grand das Schiffer-Modell mit interessanten Ergebnissen bezüglich der gleichzeitigen Nutzung von bilateralen Augenbewegungen und bilateralem Hören. Anhand seiner Erfahrungen nahm er an, dass die Anwendung von BSP auf dem aktivierteren Auge die Wirksamkeit seiner Methode verstärken würde.

Allerdings musste er die Form des Schifferschen Brillenmodells abwandeln, da die Abdeckung eines Großteils des Sehfeldes für BSP ungeeignet war. Die Brillen zur BSP-Anwendung verdunkelten nur 50 % des Sehfeldes, also entweder das eine oder das andere Auge. Um festzulegen, welches Auge den höheren Aktivierungslevel besaß, bat Grand den Klienten jeweils ein Auge abzudecken und den entsprechenden SUD-Wert für das offene Auge anzugeben. Das Auge mit dem höheren Belastungsgrad nannte er »Aktivierungsauge«, das Auge mit dem niedrigeren Belastungsgrad »Ressourcenauge«. Entsprechend dem jeweiligen Aktivierungsauge wurde anschließend eine der beiden Brillen ausgewählt, welche das Sehfeld des aktivierten Auges frei ließ.

Um den exakten Punkt der höchsten Aktivierung innerhalb des Aktivierungsauges zu lokalisieren, wurde »Inside Window BSP« angewandt. Das Vorgehen, nur mit einem der beiden Augen zu arbeiten, ist indiziert, wenn sich bei einem Klienten ein langsamer Verarbeitungsprozess zeigt oder die emotionalen Umstände sehr vage sind, wie beispielsweise bei einer generalisierten Angststörung oder einer chronischen Depression. Des Weiteren findet es Verwendung bei somatoformen Störungen, wie dem Fatigue-Syndrom oder der Fibromyalgie.

Grand nahm ursprünglich an, dass der Prozess beendet sei, wenn der Belastungsgrad auf Null gesunken war. Allerdings vermutete er, vielleicht etwas übersehen zu haben.

So überprüfte er, nachdem der Belastungswert des »Aktivierungsauges« auf Null gesunken war, zusätzlich das »Ressourcenauge«. Er beobachtete, dass in den meisten Fällen noch Aktivierung vorhanden war und dementsprechend ein neuer Brainspot auf dem »Ressourcenauge « benötigt wurde. Teilweise erweiterte sich der Belastungswert für das »Ressourcenauge« auf eine 7, 8 oder 9 und es bedurfte längerer Zeit, bis der Wert auch hier auf Null sank.

»Die Zitrone auspressen«

Eine weitere Beobachtung zeigte Grand, dass ein Belastungswert von Null nicht zwingend ein »wahrer« SUD-Wert von Null war. Er entwickelte eine Methode, die er »die Zitrone auspressen« nannte. Hierbei wird der Klient angeleitet, nachdem ein SUD-Wert von Null erreicht ist, »in sich zu gehen und zu tun, was immer er für notwendig hält«, um den Belastungsgrad wieder zu erhöhen. Dieser Prozess wird solange fortgeführt, bis der Belastungsgrad wieder auf Null sinkt. Der gesamte Vorgang wird so oft wiederholt, bis keine Aktivierung mehr erzeugt werden kann.

Das »die Zitrone auspressen«-Verfahren machte deutlich, dass oft mehr unverarbeitetes Material übrig bleibt, als das Erreichen des SUD-Werts von Null bei der ersten Messung, vermuten lässt. Die vertiefende Technik des »die Zitrone auspressens« beugt Vorfällen vor, bei denen Klienten berichteten, dass die Wirkung des BSP nachgelassen und Tage nach der Sitzung zu einer Wiederkehr der anfänglichen Aktivierung geführt habe.

Es wurden bisher drei Wege zur Lokalisierung der Brainspots formuliert. Hierzu gehören das »Outside Window«, das »Inside Window« und das »ein-Augen-BSP«. Die übrigen drei Modalitäten, die im Folgenden diskutiert werden, sind »Rollendes BSP«, »Z-Achsen BSP« und »Gazespotting«. Ihre Beschreibung erfolgt in der Reihenfolge ihrer Entwicklung.

»Rollendes Brainspotting«

»Rollendes BSP« ist eine vielseitige Variante des »Outside Window Brainspottings«. Es wird in ähnlicher Weise vorgegangen wie bei der ursprünglichen Lokalisierung des »Outside Window Brainspots«. Diese beinhaltet das langsame Wandern über das horizontale Gesichtsfeld des Klienten mittels eines Pointers sowie das Innehalten an jedem Punkt, an dem ein Reflex beobachtet wird. Bei einem »Outside Window« wird dieses Vorgehen angewendet, um extern einen Punkt festzulegen, an dem die Augen während des gesamten Prozesses fixiert bleiben.

Beim so genannten »Rollenden BSP« wird die Bewegung von Brainspot zu Brainspot während des gesamten Prozesses durch den Therapeuten fortgesetzt. Das Ende des Vorgangs markiert die vollkommene Aktivierungsabfuhr. Die Zeitspanne zwischen den beiden Brainspots kann zwischen einigen Minuten und einer nur kurzzeitigen Pause variieren. Sie wird durch die Rückmeldung der Klienten festgelegt und macht den Nutzen dieser Technik deutlich.

Es wird postuliert, dass durch die Anwendung des »Rollenden BSP« der Verarbeitungsprozess aktiver, integrativer und umfassender sei. Einige Klienten reagieren besser auf »Rollendes BSP«, während andere es einfach bevorzugen. Obwohl die Anwendung von Therapeut zu Therapeut und Klient zu Klient variiert, beinhaltet das ursprüngliche Modell des »Rollenden Brainspottings« das anfängliche Verweilen auf jedem Brainspot (eine bis zu fünf Minuten) und das allmähliche schrittweise Verlängern der Zeitspanne während des weiteren Verlaufs.

Die Theorie geht davon aus, dass zu Beginn des Prozesses eine stärkere Vertiefung der Verarbeitung das Ziel ist, im Verlauf jedoch ein erhöhter Verarbeitungsfluss. Entsprechend des »dualen Affektregulationsmodells« ist nichts vorab festgelegt.

Die Rolle des Therapeuten ist es, dem Verarbeitungsprozess des Klienten zu folgen und entsprechend seiner Rückmeldung, auf seine Bewegung von Brainspot zu Brainspot und alle weiteren Interaktionen, zu reagieren.

»Rollendes BSP« kann außerdem auch als Methode zur Vervollständigung eher unflexibler Formen des BSP genutzt werden. Es kommt vor, dass ein Brainspot auftritt, der immer noch unbearbeitetes Material beinhaltet. Hier kann »Rollendes BSP« auch als Integration und Vertiefung des eigentlich abgeschlossenen Prozesses dienen. Es wird also vor allem bei komplexen Thematiken angewendet (Anmerkung des Übersetzers).

»Z-Achsen Brainspotting«

»Z-Achsen BSP« stellt die dritte Dimension der Lokalisierung eines Brainspots dar. Bei dem »Inside Window«-Verfahren wird zunächst die Horizontale (x-Achse), gefolgt von der Vertikalen (y-Achse) zur Lokalisierung der höchsten Aktivierung oder der stärksten Ressource untersucht. Die Ermittlung der verschiedenen Distanzen zum Brainspot blieb nach seiner Lokalisierung aber bisher aus. Allerdings zeigte sich, dass die meisten Klienten eine höhere oder niedrigere Aktivierung verspürten, abhängig davon ob sie auf den Pointer (Teleskopstab) schauten oder über ihn hinweg (bspw. auf eine weiter entfernte Wand). Meist zeigte sich, dass der auf der z-Achse weiter entfernte Punkt einen niedrigeren Aktivierungslevel hatte, als ein weniger weit entfernter. Eventuell ist die geringere Aktivierung bei der Wahrnehmung eines weiter entfernten Objektes damit zu erklären, dass wir weiter entfernte Objekte als weniger bedrohlich empfinden.

Noch spekulativer ist die Annahme, dass, wenn sich der Klient bei einem weiter entfernten Punkt wiederum aktivierter fühlt, er möglicherweise erhöhte Bindungsprobleme hat, die durch die Wahrnehmung getriggert werden, dass die andere Person außer Reichweite ist. So oder so, zusammengefasst ist das z-Achsen BSP, ein Weg zur Ermittlung der unterschiedlichen Wahrnehmung von Entfernung und ihrer jeweils individuellen Wirkung auf den Aktivierungslevel des Klienten. Die Qualität, die Tiefe und die Intensität des Prozesses stellten sich als variabel heraus, abhängig von der Entfernung des Pointers und der Höhe des Aktivierungslevels. BSP-Auszubildende sollten deshalb immer an der Stelle mit der geringsten Aktivierung beginnen.

Wenn ein Klient in einer Sitzung beispielsweise das Trauma eines Autounfalls bearbeiten will, so kann das Schauen auf einen »Inside Window Brainspot« auf dem Pointer einem Belastungsgrad von acht entsprechen, während der Blick über den Pointer hinweg auf einen weiter entfernten Punkt eventuell einem Wert von vier entspricht. In der Folge kann sich zeigen, dass eine fünf- bis zehnminütige Anwendung bei geringerer Entfernung zu einem beschleunigten Verarbeitungsprozess führt. Bei einem erneuten Wechsel hin zu dem weiter entfernten Punkt kann es zu einer weiteren Reduzierung des Belastungsgrades und einem noch fließenderen Verarbeitungsprozess kommen.

So könnte, noch einmal bezogen auf das Beispiel des Autounfalls, nach der Arbeit mit dem weiter entfernten Punkt, bei dem ein Belastungsgrad von vier festgestellt wurde, der Wechsel zu dem näheren »Spot« eventuell zu einer Senkung des Werts (vorher acht) auf eine fünf oder sechs führen. Der Wechsel führt also zu einer aktiveren Verarbeitung, als wenn der nähere Brainspot schon zu Beginn angewandt worden wäre. Die folgende, fünf- bis zehnminütige Verarbeitung mit Hilfe des näheren Spots führt häufig zu einer weiteren Verringerung des Belastungswertes. Wird an dieser Stelle wieder zurück zu dem weiter entfernten Punkt auf der z-Achse gewechselt, so wird häufig deutlich, dass die Aktivierung reduziert ist und eine flüssigere Verarbeitung auftritt. Die Methode des Hin- und Herwechselns zwischen den Spots wird fortgeführt, bis bei beiden Brainspots ein vollständiges Verschwinden und eine Auflösung der ursprünglichen Belastung erreicht ist.

Die Methode des z-Achsen BSP, wie auch jede der sechs anderen Modalitäten des BSP, ist durch ständiges Experimentieren und die Erfahrungen Grands entstanden. Es wurde wiederholte Male beobachtet, dass einige Klienten, die teilweise schon auf das »Inside Window« reagierten, einen deutlichen Anstieg der Affektverarbeitung erlebten, wenn die z-Achse in den Ablauf einbezogen wurde. In der Praxis, beobachtete Grand außerdem einige Klienten, meistens solche mit einer dissoziativen Störung, die verblüffende Durchbrüche mit der z-Achsen Methode erlangten und solche Erfolge auch mit keiner anderen Formen des BSP erreichten.

»Gazespotting«

Die sechste Form des BSP ist das »Gazespotting«. Dieser Ansatz nutzt die natürliche Tendenz des Menschen, einen bestimmten Punkt innerhalb des eigenen Sehfeldes zu fixieren, wenn man über emotionale Themen spricht. Diese Fixierung ähnelt dem »Blick ins Leere«. Es scheint als würde der Klient zu dem spezifischen Punkt sprechen, ohne dass er sich selbst über sein Verhalten bewusst wäre.

Nach fünf Jahren Arbeit mit BSP, wurde Grand auf dieses Phänomen aufmerksam und fragte sich, was passieren würde, wenn die Klienten damit fortfahren würden, auf diese speziellen Punkte zu blicken und gleichzeitig ihre interne Verarbeitung beobachten würden. Grand stellte eine Rückmeldung fest, die sowohl sehr spontan, als auch einzigartig war.

Obwohl die Methode im Allgemeinen weniger aktivierend war als »Inside Window BSP« oder »Outside Window BSP«, war sie dennoch genauso wirksam und intensiv in der Verarbeitung. Die neue Methode wurde als »Gazespotting« (to gaze = blicken/starren (Anmerkung des Übersetzers)) bezeichnet und als die sechste Form der Lokalisierung relevanter Augenpositionen eingeführt. Es ist die einzige Form des BSP, bei der ein Klient seinen eigenen Brainspot intuitiv und unbewusst lokalisiert. »Gazespotting« scheint, mit einigen Ausnahmen, sanfter und ressourcenorientierter zu sein, als die aktivierenderen Modalitäten. Diese Modalität ist auch eine gute Einführung für Klienten ohne vorherige Erfahrung mit BSP. Hier findet nämlich keine Verwendung des Pointers und die BSP-typische Einführungsphase statt. Diese mag für manch einen unerfahrenen Klienten, solange der Effekt des BSP noch nicht eingesetzt hat, zuweilen merkwürdig anmuten.

Ausblick

Es kann festgehalten werden, dass BSP ein offener, sich schnell entwickelnder Ansatz ist. Während dieser Artikel publiziert wird, sind möglicherweise bereits einige neue Anwendungen in der Entwicklung. Der menschliche Organismus ist so unermesslich und komplex, dass die Beschäftigung mit diesem Thema ständig zu neuen Entdeckungen und Perspektiven führt.

Auch im siebten Jahr seit seiner Entdeckung, steckt BSP immer noch in den Kinderschuhen. Somit kann von einer fortlaufenden Weiterentwicklung und der Einnahme eines festen Platzes neben den bereits validierten Behandlungsmethoden ausgegangen werden.

Auch wenn das meiste, das in diesem Artikel besprochen wurde, von Grand selbst entdeckt oder entwickelt wurde, so wirkten doch eine Vielzahl der bis heute weltweit 2500 ausgebildeten Therapeuten ebenfalls mit. Zahlreiche Projekte sind in Planung oder in der Durchführung. Dies beinhaltet unter anderem eine Evaluationsstudie, die mittels Fragebogendiagnostik die Wirksamkeit von BSP im Vergleich zu EMDR untersucht (Mark Stemmler, Universität Bielefeld) sowie eine fMRI Studie und eine Pupillographie-Beobachtungsstudie. Anhaltende, umfangreiche Forschung ist nicht nur für das Verständnis und die Validität von BSP von Bedeutung, sondern auch um ein tiefgreifenderes Verständnis bezüglich der Interaktionsmechanismen zwischen Gehirn und Auge zu erlangen.

Zusammenfassend wird das Potenzial von BSP im »Affektregulationsmodell« gesehen, welches die praktische, jahrelange therapeutische Erfahrung in zwischenmenschlichen Beziehungen mit dem gegenwärtigen und zukünftigen Wissen über das menschliche Gehirn und dessen herausragende Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und Selbstheilung vereint.

Brainspotting, a New Brain-Based Psychotherapy Approach

Summary

Brainspotting (BSP) is a new psychotherapy approach that theorizes that the field of vision can be used to locate eye positions that correlate with relevance to inner neural and emotional experience. After they are located, these eye positions, or Brainspots, may through maintaining eye fixation, lead to a healing and resolution of issues that are held deeply in the non-verbal, non-cognitive areas of the neurophysiology. BSP utilizes both focused activation and focused mindfulness as its mechanisms of operation. It aims at a full, comprehensive discharge of activation held in the brain and body. BSP is a model that incorporates systemic activation and resources applied based on diagnostic and developmental considerations. The BSP model is developed as both relational as well as technical with philosophical and physiological underpinnings. It is an open, inclusive model that invites therapists to make use of their prior trainings and practice wisdom.

Keywords

brainspotting, trauma, posttraumatic stress disorder, trauma therapy, EMDR

Literatur

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Verfasser

David Grand, Ph.D. arbeitet als Psychotherapeut und Psychoanalytiker in eigener Praxis in Manhattan und Long Islands, New York. Als international anerkannter Experte und Ausbilder von EMDR und Brainspotting unterstützt er auch als Coach Menschen bei ihren öffentlichen Auftritten.


David Grand, Ph.D.
Founder of Brainspotting
34 Townhouse Drive, Massapequa Park,
NY USA 11762
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