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Claudia Kahrs & Oliver Schubbe

EMDR in der Schwangerschaft (2005)

Ist EMDR in der Schwangerschaft contraindiziert?

Obgleich die Frage von Indikation und Contraindikation von EMDR (engl. Eye Movement Desensitization and Reprocessing) während der Schwangerschaft denkbar wichtig ist, gibt es gerade in der deutschsprachigen Literatur bislang kaum Studien zu diesem Thema. Die nachfolgenden Überlegungen basieren auf zwei englischsprachigen Artikeln (Cloyd, 1999; Forgash, 2000) und Emails, die über eine moderierte Email-Verteilerliste für Absolventen des EMDR-Instituts von Francine Shapiro ausgetauscht wurden.

Bedeutung von Stress für die Entwicklung des Fötus

Studien am Menschen belegen, was auch bereits in Tierversuchen nachgewiesen wurde, dass ein von der Mutter erlebter Stress schädigende Wirkung auf das ungeborene Kind hat. Die Autoren der oben genannten Artikel betonen, dass Stress in seiner Schädlichkeit für die Entwicklung des fetalen Gehirns fast mit der Wirkung von Gift verglichen werden kann. Generell lässt sich ein negativer Zusammenhang zwischen Stress und Wachstum des Fötus feststellen (Hansen et al., 1996), das heißt, je mehr Stress die Mutter erlebt, desto schlechter sind die Wachstumsbedingungen für das Ungeborene.

Nicht zu behandeln kann mehr Stress bedeuten als eine Intervention

Generell kann man davon ausgehen, dass PTBS-Patientinnen auch ohne therapeutische Intervention unter Stress, Flashbacks und einem erhöhten Erregungslevel leiden. Nichtbehandeln ist also keinesfalls gleichzusetzen mit dem Nichterleben von Stress. Insgesamt ist der Stress über die gesamte Schwangerschaft ohne Behandlung vielleicht viel größer als mit Behandlung. Das setzt allerdings voraus, dass es gelingt das traumatische Ereignis so zu bearbeiten, dass es von der Mutter als weniger belastend erlebt wird. Diesen Zusammenhang gilt es abzuwägen; das ist sicherlich nicht immer einfach und muss für jeden Einzelfall individuell entschieden werden. Manche Experten sprechen sich gerade in der Schwangerschaft aus Gründen der Stressreduktion für eine Behandlung mit EMDR aus.

EMDR ist mehr als eine Methode zur Traumakonfrontation

Im bisherigen Kontext wurde EMDR vor allem als sanfte Methode der Traumakonfrontation besprochen. Dabei wurde außer Acht gelassen, dass EMDR weit mehr ist, nämlich eine schnelle und effektive Möglichkeit der Stabilisierung, der Entspannung und des Stressabbaus. Noch allgemeiner formuliert ist EMDR eine Methode, die den Lernprozess beschleunigt (Shapiro, 1995).

Die vielseitigen Möglichkeiten und Weiterentwicklungen von EMDR werden allgemein aber auch während der Schwangerschaft sehr empfohlen. So können zum Beispiel Distanzierungstechniken wie die des "Beobachters", die "Körperressource" von David Grand, das zukunftsorientierte Vorgehen mit EMDR nach Steffen Bambach oder die "Ressourcenverankerung" nach dem Protokol von Andrew Leeds die Patientin in einen möglichst ressourcenvolleren Zustand versetzen.

Klinische Studien weisen darauf hin, dass Menschen mit mehr oder effektiveren Ressourcen weniger stark von traumatischen Flashbacks betroffen sind, die Stärkung der Ressourcen zieht einen stressreduzierenden Effekt nach sich. Des Weiteren kann EMDR eingesetzt werden, um auf die Schwangerschaft bezogene Ängste zu reduzieren und positive Erwartungen zu fördern und zu verstärken.

Direkte Untersuchung der Wirkung von EMDR auf das Kind im Mutterleib

Tom Cloyd berichtet von Erfahrungen einiger Kollegen, denen es mit Hilfe technischer Geräte gelungen ist, Stressparameter des Fötus während einer EMDR-Sitzung zu erheben. Laut Aussagen seiner Kollegen wurde in keinem der untersuchten Fälle fetaler Stress aufgrund eines Einsatzes von EMDR beobachtet. Auch in anderen Quellen werden keine Fälle benannt, die negative Auswirkungen von EMDR in der Schwangerschaft belegen. In einem einzigen Fall soll durch EMDR vorzeitig eine Geburt eingeleitet worden sein, die aber sowohl für die Mutter als auch für das Kind ohne weitere Konsequenzen geblieben ist.

Zusammenfassende Empfehlungen

Indikation für EMDR

Insgesamt gibt es eine klare Indikation für EMDR in der Schwangerschaft. Das gilt sowohl für die ressourcenunterstützenden und stabilisierenden Anwendungsmöglichkeiten als auch für die Traumakonfrontation mit EMDR. Ist die Traumakonfrontation wirksam, z.B. durch Beenden der Flashbacks, so bedeutet dies über die gesamte Schwangerschaft eindeutig eine Stressreduktion und Verbesserung für Mutter und Kind. Bei Nichtwirksamkeit führt der durch die Konfrontation mit dem Trauma zusätzlich entstandene Stress insgesamt nur zu einer geringfügig höheren Gesamtbelastung.

Bezüglich der zu bearbeitenden Themen gibt es keine Einschränkungen, aber die Empfehlung, bestimmte Themen vorrangig zu behandeln. Dies gilt insbesondere für Schwangerschafts- und Bindungsthemen - also Themen, die sich direkt auf die Beziehung zwischen Mutter und Kind beziehen - z.B. Ängste, keine gute Mutter zu sein, Angst vor Missbildungen oder Behinderungen.

Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Behandlung von Patientinnen mit Missbrauchserfahrungen: Bei einem solchen Hintergrund ist davon auszugehen, dass eine Schwangerschaft - auch wenn sie gewollt ist - zu einer Verstärkung der Traumaerinnerung führen kann. Manche Frauen reagieren als Folge einer Projektion negativer Tätergefühle auf den "Eindringling" in ihrem Bauch mit Aggressionen gegenüber ihrem ungeborenen Kind, was dann wiederum häufig Schuldgefühle auslöst. Diese negativen Gefühle sich selbst und dem Ungeborenen gegenüber sollten noch während der Schwangerschaft bearbeitet werden. Auch in der Behandlung von Schwangeren mit Suchtthematik ist eine Behandlung mit EMDR sinnvoll.

Contraindikation

Ein wichtiges Kriterium bei der Entscheidung pro oder contra Traumakonfrontation mit EMDR ist der Gesundheitszustand der Mutter. Bei Risikoschwangerschaften und vorzeitigen Wehen ist sehr genau abzuwägen, ob und inwiefern EMDR zu Komplikationen führen kann.

Ebenfalls contraindiziert sein kann EMDR bei Komplextraumatisierungen und bei insgesamt geringer psychischer Stabilität der Frau. Der Grund hierfür liegt in dem Umstand, dass die Behandlung eines schweren Komplextraumas oftmals eine längere Behandlung erfordert als es über die Dauer einer Schwangerschaft möglich ist, da allein die Phase der Stabilisierung voraussichtlich schon einige Monate in Anspruch nimmt.

Empfehlungen zur Vorgehensweise

Die Entscheidung, EMDR in der Therapie einzusetzen, kann generell nur mit der Patientin gemeinsam getroffen werden. Dazu sollte ein offenes Gespräch geführt werden, in dem der/die Therapeut/in die Patientin über den aktuellen Forschungs- und Erfahrungsstand sowie mögliche Risiken informiert, das dann in einer gemeinsamen Risikoabwägung mit der Klientin mündet. Für die Schwangere gilt es herauszufinden, wie sie sich mit dem Gedanken an EMDR fühlt.

Grundsätzlich ist eine Zusammenarbeit mit dem behandelnden Gynäkologen zu empfehlen. Einerseits zur Einschätzung der Schwangerschaft aber auch in Bezug auf die Vorbereitung der Frau auf die Geburt. Gerade traumatisierte Patientinnen sollten mental und emotional gut auf die Geburt vorbereitet werden, damit durch den Geburtsvorgang keine Retraumatisierung ausgelöst wird. Auch die Länge und Intensität der therapeutischen Beziehung kann bei der Entscheidung für oder gegen den Einsatz von EMDR eine Rolle spielen.

Eine stabile therapeutische Beziehung, geprägt von Vertrauen, ist die Grundlage für eine erfolgreiche Anwendung von EMDR. Liegt das informierte Einverständnis der Patientin für einen Einsatz von EMDR vor, ist es wichtig, dass der/die Therapeut/in stets darauf achtet, den Stress für die Klientin so gering wie möglich zu halten. Auch bei der Auseinandersetzung mit traumatischen Erlebnissen soll die Aufmerksamkeit immer auf den Ressourcen liegen, so dass verhindert wird, dass die Schwangere von dem Trauma überflutet wird. Methodisch kann dies durch therapeutisches Einweben und insbesondere durch das ständige Bewussthalten der Körperressource erreicht werden.

Literatur

Cloyd, T. (1999). Pregnancy and EMDR - is any form of EMDR safe in the context of pregnancy? [Onlineartikel] [Juni 2005].

Forgash, C. (2000). When a PTSD survivor becomes pregnant: Implications for EMDR treatment. [Onlineartikel] [Juni 2005].

Hansen, D., Lou, H., Nordentoft, M., Pryds, O. A., Jensen, F. R., Nim, J., & Hemmingsen, R. P. (1996). [The significance of psychosocial stress for pregnancy course and fetal development], [Article in Danish]. Ugeskrift for Laeger, 158, 2369-2372.

Shapiro, F. (1995). Eye Movement Desensitization and Reprocessing: Basic principles, protocols, and procedures. New York: Guilford Press.