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Alle Rechte beim Institut für Traumatherapie Oliver Schubbe bzw. beim Autor.
auch erschienen in: Trauma & Gewalt 3 (2011), S. 290-295; Vollständiges Interview in: David Grand: EMDR - Ein Durchbruch in der Psychotherapie, Wien 2011, S. 247-258. Passagen Verlag.
David Grand, PhD, entdeckte und entwickelte Brainspotting. Er ist Psychotherapeut in freier Praxis in New York, ehemaliger Mitarbeiter des EMDR-Instituts von Francine Shapiro und EMDRIA-akkreditierter Supervisor. David Grand, der eine psychoanalytische Ausbildung absolvierte, ist ein international anerkannter Experte für Traumatologie. Er widmet sich eingehend der Weiterentwicklung und Verbesserung der modernsten Behandlungsverfahren für Traumata und der möglichst breiten Weitervermittlung dieser Verfahren. Er ist Ausbilder für EMDR und Brainspotting und gibt Seminare zur Traumabehandlung und Leistungssteigerung (Performance Enhancement) in den USA, Europa, dem Mittleren Osten und in Südafrika. Er ist Entwickler und Produzent von CDs zur akustischen bifokalen Stimulierung (BioLateral Sound Recordings) und Verfasser des Buches »Emotional Healing at Warp Speed: The Power of EMDR«. Die deutsche Übersetzung »EMDR - Ein Durchbruch in der Psychotherapie« erschien im Passagen-Verlag Wien 2011.
Renate Schelling: Herr Grand, Sie haben gerade am »Institut für Traumatherapie Oliver Schubbe« in Berlin ein fünftägiges Intensivtraining für Brainspotting geleitet. Wie haben Sie Brainspotting entwickelt und was ist das für eine Methode?
David Grand: Ich habe Brainspotting entdeckt, als ich langsame Augenbewegungen anleitete. Das war eine Variante von EMDR. Ich arbeitete mit einer sechzehnjährigen Eiskunstläuferin, einer US-amerikanischen Meisterschaftsläuferin. Sie verfolgte ganz langsam meine Finger nach links und rechts. Und als sich meine Finger gerade wieder ihrer Nase näherten, sah ich, wie ihre Augen ganz stark zuckten, dann erstarrten und die Blickrichtung wie eingefroren blieb. Als das passierte, war ich überrascht, und statt meine Finger weiter hin und her zu bewegen, hielt ich meine Hand direkt in einer Linie mit der Stelle, an der diese Augenreaktion aufgetreten war. Meine Hand befand sich nicht direkt vor ihrem Gesicht, sondern ungefähr anderthalb Meter von ihr entfernt. In diesem Moment und in den folgenden zehn Minuten beobachtete ich ein erstaunliches Ausmaß dessen, was wir Prozessieren nennen, eine innere Erfahrung, bei der eine innere Wahrnehmung auf die nächste folgt.
Renate Schelling: Hatten Sie mit ihr vorher schon mit EMDR gearbeitet?
David Grand: Es war eine Kombination aus EMDR, Somatic Experiencing und meiner eigenen Vorgehensweise beim Sportlercoaching. Dazu gehört, die Bewegung sehr langsam zu machen, was wir Micro Movement, also Zeitlupenbewegung nennen, und den Körper auf unwillkürliche Reaktionen hin zu beobachten, in welcher Position er die negative Erfahrung festhält. In diesen zehn Minuten kamen all die traumatischen oder belastenden Erfahrungen hoch, die vorher noch nie aufgetaucht waren, und die Klientin konnte sie verarbeiten und loslassen. Was mich aber noch viel mehr erstaunte, war, dass sich Themenkomplexe, die wir vorher schon vollständig bearbeitet hatten, noch einmal erschlossen und sich dabei eine tiefere Ebene der Verarbeitung erreichen ließ. Nachdem die zehn Minuten vorüber waren, hörte das Zucken auf, die Erstarrung löste sich und alles ging normal weiter. Ich hielt das für eine sehr interessante Erfahrung, aber nicht wirklich für derart bedeutsam. Am nächsten Tag rief sie mich jedoch direkt aus dem Eislaufstadion an und erzählte mir, dass das Problem, an dem wir gearbeitet hatten - die Unfähigkeit, den dreifachen Rittberger zu springen - sich vollständig aufgelöst hatte. Und sie sprang den dreifachen Rittberger ohne jegliche Schwierigkeit. Das Problem ist seither nie wieder aufgetaucht.
Renate Schelling: Das klingt beinahe nach Zauberei.
David Grand: Es klingt wohl nach Zauberei, aber es geht im wahrsten Sinne des Wortes um einen Zugang zum Gehirn, und zwar in genau die Hirnregion, in der das Problem zu finden ist.
Renate Schelling: Ich vermute, das macht Brainspotting zu einer besonderen und therapeutisch tiefer gehenden Methode als zum Beispiel EMDR.
David Grand: Nun, das Besondere an Brainspotting ist tatsächlich, das menschliche Gesichtsfeld als Medium zu verwenden, um Zugang zu der im Gehirn gehaltenen negativen Erfahrung zu erhalten. Ein Merksatz, den ich geprägt habe, lautet: »Wohin wir schauen, beeinflusst, wie wir uns fühlen.« Jeder weiß das irgendwie, aber wir sind uns normalerweise dessen gar nicht bewusst, dass wir uns unterschiedlich fühlen, je nachdem in welche Richtung wir blicken, oder dass wir das, was wir tun oder denken, je nach Blickrichtung sehr unterschiedlich erleben. Mit Brainspotting - und großer Aufmerksamkeit - können wir die ganze Fülle der verschiedenen Positionen des Gesichtsfeldes nutzen, um entsprechende Positionen im Gehirn zu erreichen.
Renate Schelling: Seit wann verwenden Sie Brainspotting als Behandlungsmethode?
David Grand: Ich habe Brainspotting 2003 entwickelt, als ich die geschilderte Beobachtung machte. Seither habe ich viele methodische Elemente für Brainspotting entwickelt. Ich bringe also je nach Klient unterschiedliche Elemente zum Einsatz. Es ist sehr einfach, die verschiedenen Elemente von Brainspotting zu variieren und zu kombinieren und Brainspotting auch mit anderen therapeutischen Verfahren zu kombinieren. Brainspotting wurde für die Integration in andere Methoden und Verfahren, die vom Therapeuten bereits wirksam verwendet werden, entwickelt.
Renate Schelling: Sprechen Klienten leicht auf Brainspotting an, oder ist es manchmal schwer, ihnen zu erklären, wie das geht?
David Grand: Ich will zunächst betonen, dass Brainspotting, obwohl es einen direkten Zugang zum Gehirn ermöglicht, nicht zur Selbstanwendung gedacht ist, sondern zum Einsatz im Rahmen einer therapeutischen Beziehung. Es ersetzt nicht die therapeutische Beziehung, sondern ergänzt sie nur, indem sie dem Therapeuten eine zielgerichtetere und effektivere Arbeitsweise ermöglicht. In jeder Therapie, ganz besonders aber auch bei Brainspotting, kommt es auf die Fähigkeit des Therapeuten an, seinen Klienten zuzuhören und ihnen zu helfen, sich sicher zu fühlen und Vertrauen zu entwickeln.
Renate Schelling: Welches Menschenbild steht hinter dieser Form der Therapie?
David Grand: Das ist eine äußerst wichtige Frage. Im menschlichen Gehirn gibt es Billiarden von Verbindungen. Eine Billiarde ist eine Milliarde mal eine Million, das ist nahezu unendlich viel. Das Gehirn hat diese riesige Zahl an Verbindungen, weil es die Aufgabe hat, jede Körperzelle, jedes Körperorgan und jedes System im Körper zu beobachten, sogar sich selbst, um alle Funktionen regulieren zu können. Meistens funktioniert das auch so.
Wenn es einer Korrektur bedarf, sei es bei einer körperlichen Erkrankung oder einem emotionalen Problem, erkennt das Gehirn das Problem sofort und wird aktiv, um es zu korrigieren. Aber es gibt natürlich auch Ausnahmen bei körperlichen oder emotionalen Problemen, die das Gehirn nicht lösen kann. Das Gehirn entdeckt dann zum Beispiel, wo das Problem liegt, findet aber keine Lösung, oder es erkennt nicht, wo das Problem im System lokalisiert ist. Mit System ist das Nervensystem gemeint, das nicht nur aus dem Gehirn besteht, sondern auch aus der Wirbelsäule und den Nerven, die den gesamten Körper durchziehen.
Mit Brainspotting können wir tatsächlich die Fähigkeit des Gehirns nutzen, sich selbst bis hinunter auf die Zellebene zu beobachten und zu regulieren, während wir über die Augenposition eine Position im Gesichtsfeld fokussieren. Wir helfen dem Gehirn, herauszufinden, wo das Problem im Gehirn und im Körper sitzt. Und dann halten wir den Fokus dort, während das Gehirn das Problem löst, an dessen Lösung es vorher schon selbstständig gearbeitet hatte. Das ist ganz ähnlich wie beim Immunsystem: Gelegentlich sind die Selbstheilungskräfte überfordert und dann wird eine medizinische oder andere Behandlung erforderlich.
Das Menschenbild von Brainspotting basiert also darauf, dass das Gehirn und das Nervensystem auf Selbstregulation angelegt sind und dass nur dann Hilfe von außen nötig ist, wenn in diesem Prozess der Selbstregulation und -heilung eine Störung auftritt. Brainspotting bietet in solchen Fällen einen sehr spezifischen Ansatzpunkt.
Renate Schelling: Was war bisher die bemerkenswerteste Erfahrung mit Brainspotting?
David Grand: Nun, es gibt immer wieder so viele bemerkenswerte Erfahrungen, sowohl in meiner eigenen Praxis als auch in den Praxen meiner Absolventen, dass wir da leicht aus einem ganzen Ozean von Erfahrungen fischen können. Eine, die mir gerade in den Sinn kommt, ist die eines Mannes, der elf Jahre alt war, als seine Mutter von seinem Stiefvater ermordet wurde. Er war damals im Internat und erfuhr die Geschichte erst drei Monate später. Er konnte sich seither nie mehr daran erinnern, wie seine Mutter ausgesehen hatte, auch nicht an ihr Gesicht, und er hatte auch kein Foto von ihr. Ich arbeitete mit ihm, als er Mitte sechzig war und Hypnose, Altersregression und viele andere Methoden ausprobiert hatte, ohne das Bild seiner Mutter wieder zu finden.
Während der Behandlung mit Brainspotting fand ich mit ihm den Punkt im Gesichtsfeld, der mit dem Punkt im Gehirn assoziiert war, wo das Bild seiner Mutter gespeichert war. Beim Fokussieren auf diesen Brainspot zeigten sich zunächst traumatische Erinnerungen und Verlusterfahrungen und viel Trauer. Nachdem diese jedoch verarbeitet waren, tauchte das Bild der Mutter nach 55 Jahren plötzlich wieder auf.
Renate Schelling: Wie sind Sie dazu gekommen, in Europa zu lehren?
David Grand: Glücklicherweise war ich schon vor meiner Arbeit mit Brainspotting als Ausbilder für Natural Flow EMDR in Europa, Südamerika und im Mittleren Osten tätig. Ich war mir bei Brainspotting von Anfang an sicher, dass ich - als Amerikaner - nicht in die Falle tappen würde, Brainspotting als amerikanisches Phänomen zu verbreiten. Bei meiner Ausbildungstätigkeit in Europa und Südamerika kam es mir darauf an, nicht Amerika als Zentrum zu sehen, sondern die Haltung einzunehmen, dass jedes Land und jede Kultur eine eigene Art und Weise, Brainspotting zu verstehen und anzuwenden, entwickeln würde.
Eines meiner ersten internationalen Brainspotting-Trainings fand an dem von Oliver Schubbe geleiteten Institut für Traumatherapie in Berlin statt. Ein oder zwei Monate nach meiner Entdeckung von Brainspotting war ich bei einem von Oliver Schubbe veranstalteten Seminar auf der griechischen Insel Hydra. Ich erzählte ihm von Brainspotting, und schon im nächsten Jahr begann ich, Brainspotting in Berlin zu lehren.
Jedes Jahr holte Oliver Schubbe mich wieder nach Deutschland, um dort Brainspotting-Grundkurse (I) und Fortgeschrittenenkurse (II) zu halten. Sie haben vorhin die Tatsache erwähnt, dass wir gerade ein Intensivseminar beendet haben. Das ist das fortgeschrittenste Seminar, das ich anbiete. Diese Woche fand es zum ersten Mal in Berlin statt.
Oliver Schubbe hat in Deutschland, Österreich und der Schweiz inzwischen auch seinerseits über zweihundert Psychotherapeuten in Brainspotting ausgebildet. Unter seiner Leitung hat Brainspotting eine Form angenommen, die ich in meiner Sprache und Kultur nie hätte entwickeln können. Er holt mich immer wieder zurück nach Berlin, um die Entwicklung von Brainspotting gemeinsam auf eine neue Ebene zu bringen, immer mehr deutschsprachige Psychotherapeuten auszubilden und dadurch immer mehr deutschsprachige Klienten zu erreichen. Auf diese Weise ist Brainspotting inzwischen tatsächlich zu einem deutschen beziehungsweise deutsch sprachigen Phänomen geworden.
Renate Schelling: Auf welchen Gebieten wird Brainspotting eingesetzt?
David Grand: Brainspotting kann überall da eingesetzt werden, wo es um das menschliche Gehirn und Nervensystem geht und darum, Probleme zu lösen oder zu helfen, das Wohlbefinden zu erhöhen. Auch bei Leistungsthemen - ob es nun um sportliche oder kreative Leistungen geht - hat Brainspotting seinen festen Platz. Wir verwenden Brainspots, um über die Blickrichtung herauszufinden, wo das Problem oder das Trauma im Gehirn oder Körper aufrechterhalten wird. Wir können die Augenposition im Gesichtsfeld aber auch dazu einsetzen, um Talente oder andere Fähigkeiten eines Menschen zu lokalisieren.
Ich habe mit vielen Schauspielern daran gearbeitet, den Brainspot für eine bestimmte Rolle zu finden. Das nennen wir den Rollen-Spot. Es ist ziemlich wirksam und sehr faszinierend zu erleben, wie ein Schauspieler, der vorher nur eine Vorstellung von seiner Rolle hatte, sie dann plötzlich in seinem Körper fühlt und spontan ihre Biografie ausspinnt. Das ist dann nicht die eigene Biografie, sondern die der Rolle.
Schauspieler recherchieren, entwickeln und arbeiten oft die Geschichte ihrer Rolle aus, aber mit Brainspotting geschieht dies ganz spontan vom Gehirn und vom Körper her. Und tatsächlich entsteht es dadurch, dass sie die Stelle im Gehirn finden, die die Rolle repräsentiert. Das ist der Ort, von dem aus die Rolle ihre eigene Geschichte erzählen kann. In den USA und wahrscheinlich auch in Deutschland werden immer wieder Filme mit Schauspielern gezeigt, mit denen ich gearbeitet habe, und die mit Hilfe von Brainspotting tatsächlich ihre eigene Rolle entwickelt haben.
Brainspotting wird auch relativ oft im Bereich der Sportpsychologie eingesetzt. Eine Tatsache, die weitgehend unterschätzt wird, ist das Ausmaß von Leistungsproblemen bei professionellen Sportlern, da die Sportler und die Teams versuchen, die Leistungsprobleme nicht nach außen dringen zu lassen.
Die häufigste Ursache von Leistungsblockaden im Sport sind Sportverletzungen. Jeder Sportler, der für den World Cup oder für Olympia trainiert, hat sehr früh zu trainieren begonnen und die ganze Kindheit und Jugend hindurch bis hin ins Erwachsenenalter immer wieder Verletzungen erlitten. Sportverletzungen sind häufig mit psychischen Traumatisierungen verbunden, die sich im Gehirn und Körper aufsummieren und dann irgendwann die Leistung beeinträchtigen.
Mit Brainspotting können wir herausfinden, wo traumatisierende Gedächtnisinhalte im Gehirn oder im Körper festgehalten werden; das gilt natürlich auch für Sportverletzungen. In einem zweiten Schritt kann Brainspotting Sportler aber auch dabei unterstützen, ein höheres Leistungsniveau zu erreichen. Damit meine ich nicht nur, Leistungsblockaden zu überwinden, sondern tatsächlich ein höheres Niveau zu erreichen. Wir können diesen Effekt bei Schauspielern, Sängern, Tänzern, Musikern, Schriftstellern, Malern und anderen kreativen Künstlern gleichermaßen beobachten.
Renate Schelling: Ich weiß, dass Sie selbst auch kreativ arbeiten; Sie produzieren so genannte bilaterale CDs. Warum verwenden Sie beim Brainspotting außerdem noch bilaterale Musik?
David Grand: Das ist eine interessante Geschichte aus meiner Zeit als EMDR-Therapeut. Als kreativer EMDR-Therapeut habe ich alle möglichen Arten EMDR durchzuführen ausprobiert, und eine Variante war, Geräusche zu benutzen, die von einem zum anderen Ohr gingen. Damals gab es für EMDR nur primitive Tonkästchen, die ein abwechselnd rechts und links erfolgendes Klickgeräusch erzeugten. Das Klicken war stereotyp und ziemlich nervtötend. So überlegte ich mir, richtig entspannende Musik oder Naturgeräusche aufzunehmen, um nicht nur den beruhigenden Effekt der bilateralen Stimulierung zu nutzen, sondern auch den beruhigenden und heilsamen Effekt der Musik. Ich fing also an und machte meine erste CD. Die Leute mochten sie und wollten neue Musik, und ich machte eine zweite CD. Inzwischen sind auf diese Weise acht CDs entstanden. Um es kurz zu machen: Die Musik- CDs waren eine Ergänzung zu den langsamen Augenbewegungen, um EMDR auf möglichst beruhigende Art und Weise einzusetzen.
Nachdem ich Brainspotting entdeckt und herausgefunden hatte, dass die Blickrichtung so eng mit inneren Prozessen verbunden ist und Traumata auflösen kann, verwendete ich zunächst keine bilaterale Musik mehr. Einige Klienten fragten dann aber: »Warum können wir nicht die Musik hören, während wir Brainspotting machen?« Und natürlich hatten sie Recht. Ich hörte also auf meine Klienten; sie brachten wieder ihre Kopfhörer mit in die Praxis, und ich beobachtete, dass Brainspotting - so wirksam es auch bereits war - noch effektiver wurde. Ich stellte fest, dass die Musik im Hintergrund bilateral wechseln und das Gehirn anregen kann, während der Klient mit den Augen einen bestimmten Brainspot fixiert, und dass beides gut zusammen passt und sich sogar gegenseitig verstärkt.
Die Sache mit Brainspotting ist auch die: In meiner psychoanalytischen Ausbildung in den Siebzigern sprachen wir nie vom Gehirn. Unsere Lehrer lehrten uns nie etwas über das Gehirn, sondern alles war die Psyche oder die Persönlichkeit. Die Neunziger wurden dann das Jahrzehnt des Gehirns, und plötzlich nahm rasant zu, was über das Gehirn gelehrt wurde. Dies erweiterte sowohl das Wissen über das Gehirn, als auch das Verständnis der Psyche.
Die Dinge entwickeln sich jedoch langsam. So rasch sich auf Gehirnfunktionen basierende Therapiemethoden entwickelten, so langsam näherten sie sich einem besseren Verständnis der Funktionsweise des Gehirns an. EMDR und andere Methoden aus den späten Achtzigern und den Neunzigern waren sehr wirksam und brachten die Entwicklung weiter. Aber sie waren nicht exakt genug, um herauszufinden, wo sich psychische Inhalte im Gehirn lokalisieren lassen.
Es ist nicht sehr ökonomisch, jeden Klienten in einen Computertomografen zu stecken, weil solche Untersuchungen pro Aufnahme viel zu viel kosten. Wir sind jedoch in der Lage, das Gesichtsfeld zu nutzen, um das menschliche Gehirn zu scannen, um quasi zu scannen, wo das Problem sitzt und wo Stärken und Überlebenskräfte zu finden sind. In dieser Hinsicht ist EMDR schon sehr weit an der vordersten Front gehirnbasierter Methoden; allerdings ist es eine Zusatzmethode.
So sehr sich das Wissen über das Gehirn und über den Zugang zum Gehirn weiter entwickelt hat und so sehr bei Brainspotting spezielle Methoden eingesetzt werden, so beinhaltet Brainspotting doch immer noch die notwendigen Grundlagen von Psychotherapie, wie beispielsweise die therapeutische Beziehung, die Präsenz des Therapeuten für den Klienten und die Fähigkeit, sich beim Zuhören wirklich in das hineinzuversetzen, was der Klient und wie er es zu sagen hat. Im Brainspotting verbindet sich die Kraft und Tradition guter Beziehungsarbeit mit einer ausgesprochen fokussierten, präzisen, tiefen und entsprechend wirksamen therapeutischen Arbeitsweise.
Renate Schelling: Wie sehen Sie die Zukunft der Psychotherapie?
David Grand: Viele Menschen, die etwas entdecken, wollen es schützen, sie wollen davon profitieren, auch finanziell. Bei Brainspotting sehe ich das anders. Aus meiner Sicht ist Brainspotting nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu weiteren Entdeckungen über die Funktion des Gehirns und therapeutische und andere wissenschaftliche Anwendungen.
So wie mich die Psychoanalyse zu EMDR und körperorientierte Verfahren wie Somatic Experiencing zu Brainspotting geführt haben, so wird Brainspotting andere zur nächsten Generation fokussierter Behandlungsmöglichkeiten führen, die sowohl die Beziehung und Bindung als auch das Gehirn einbeziehen werden.
Ähnlich, wie auf dem Gebiet der Informationstechnologie alles immer schneller vorangeht, so wird das auch mit unserem Verständnis des Gehirns geschehen. Und ich denke, es wird diesmal nicht wieder Jahrzehnte dauern, bis wir durch unser Verständnis des Gehirns neue Durchbrüche zum Verständnis und zur Auflösung emotionaler und psychologischer Probleme finden werden.
Renate Schelling: Gibt es schon wissenschaftliche Untersuchungen über Brainspotting?
David Grand: Brainspotting ist noch sehr, sehr neu; es begann erst 2003. Deshalb befindet sich die Forschung noch ganz am Anfang, die notwendige Forschung, mit der wir besser verstehen werden, wie effektiv Brainspotting ist und wie es funktioniert. Diese Forschung hat drei Ansatzpunkte, die psychologische Forschung, die funktionelle Hirnforschung und die Augenforschung.
Am Institut für Medizin der Universität Pitsburg hat gerade eine Studie zur Untersuchung der Pupillenreaktion in Abhängigkeit von den Blickrichtungen begonnen. Die Pupillenerweiterung ist ein sehr genaues Maß für die neuronale Reaktion. Dies ist die erste physiologische Studie zu Brainspotting.
Eine zweite Studie verwendet die Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT). Hier können wir die Wirkung von Brainspotting nicht nur vorher und nachher vergleichen, sondern auch unmittelbar während des Scannens beobachten. Das Ziel ist, die Funktion des Gehirns während des Einsatzes von Brainspotting zu beobachten, um so ganz genau beobachten zu können, welche Wirkung Brainspotting im Gehirn erzielt.
Ich bin mir sicher, dass dies nicht nur helfen wird, die Wirkweise von Brainspotting zu begreifen, sondern auch, dass wir dadurch die Funktionsweise des Gehirns besser als bisher verstehen werden. Ich bin mir sicher, dass die Untersuchung von Brainspotting und dessen Potential, Probleme zu lokalisieren und zu lösen, wiederum Neurologen und andere Hirnforscher zu neuen Ideen anregen wird.
Renate Schelling: Vielen Dank, Herr Grand!