auch erschienen in: Trauma & Gewalt 3 (2008), S. 254-55
San Diego, Sommer 1988, 6 Uhr morgens. Fünf Mädchen und Jungen im Alter zwischen neun und zwölf Jahren klingeln an der Tür des Hillcrest Receiving Home, einem Übergangswohnheim für Kinder. Nachem sie die Nacht auf dem Kinderstrich verbracht haben, bitten sie, wieder hereingelassen zu werden.
Nachdem die Kinder wieder in ihren Zimmern sind und ich mit der Heimleiterin gesprochen habe, studiere ich die Akten: Zu jedem der fünf Kinder gibt es eine ausführliche Erhebung schwerster traumatischer Ereignisse seit frühester Kindheit. Beim Lesen bin ich überzeugt, dass diese Tatsache in Deutschland nicht annähernd so systematisch erhoben worden wäre, weil das Fachwissen und die Testmaterialien dafür fehlen. In diesem Moment sah ich zum ersten Mal den Bedarf für ein Institut für Traumatherapie in Deutschland.
Die Schichten als Heimbetreuer ließen sich gut in mein Studium der Familientherapie bei Virginia Satir und den Psychoanalytikern Ivan Boszormenyi-Nagy und James Framo integrieren, und ich wäre nach dem Abschluss des "Masters of Arts" am liebsten in Kalifornien geblieben, zumal mir die Leitung der Schmerzambulanz der Normal Street Clinic angeboten worden war. Das Leben in Kalifornien erschien mir um einiges spannender als das in Deutschland, aber dort gab es offensichtlich ein interessantes Tätigkeitsfeld im Bereich der Traumatherapie.
In Berlin traf ich den Heilpädagogen Michael Borbonus, der dort die erste Wohngruppe für sexuell missbrauchte Kinder aufgebaut hatte. Er war für mich der geeignete Partner zur Institutsgründung. 1990 eröffneten wir gemeinsam das "Institut für Traumapädagogik und -therapie".
Mit "Traumapädagogik" bezeichneten wir eine spezielle Form der Heilpädagogik für traumatisierte Kinder. Wir veranstalteten mehrtägige Seminare für Kinderheime, Kinder- und jugendpsychiatrische Kliniken und freiberufliche Psychotherapeuten und unterstützten Kinderheime im professionellen Umgang mit übergriffigen Kindern ebenso wie mit übergriffigem Personal.
Aus dem dringenden Bedarf heraus sammelten wir wirksame Methoden, Kindern bei der Verarbeitung ihrer schlimmsten traumatischen Erinnerungen zu helfen, ohne sie oder gar ihre ganze Wohngruppe in helle Aufregung zu versetzen. Posttraumatische Störungen galten damals als extrem langwierig und schwer behandelbar.
Auf dieser Suche traf ich 1993 auf Francine Shapiro und EMDR. Die EMDR-Seminare, die ich bei ihr in Amsterdam besuchte, waren mit 80 Teilnehmern überfüllt, aber gaben mir genau die neuen Möglichkeiten an die Hand, die ich für meine therapeutische Arbeit mit traumatisierten Kindern brauchte.
Als Michael Borbonus eine feste Stelle angeboten bekam, entschied ich mich 1999, das Institut unter dem Titel "Institut für Traumatherapie" allein weiterzuführen. Im Team mit Marga Henkel-Gessat, Prof. Norbert Gurris, Annette Brink und Steffen Bambach entwickelten wir ein umfassendes Psychotraumatherapie-Curriculum, das wir nun seit über zehn Jahren durchführen - inzwischen in Berlin, Hamburg, Erfurt und Regensburg.
Die Tatsache, dass unsere Seminare im Schnitt auf 18 Teilnehmer begrenzt und von allen relevanten Fachgesellschaften (EMDRIA, DeGPT) anerkannt waren, bescherte uns in wenigen Jahren über 2500 Absolventen und Einladungen in die Schweiz und Türkei, nach Österreich, Griechenland, Tschechien und Lettland.
Parallel zu dieser äußeren Entwicklung vertieften wir die Möglichkeiten zur Selbsterfahrung und zum Selbststudium. Wir legen besonderen Wert auf eine geschützte und harmonische Atmosphäre, zu der neben einer kontinuierlichen Qualitätssicherung nicht zuletzt auch eine gesunde Seminarverpflegung gehört. Anstelle zuckerhaltiger Kekse gibt es frische, leckere Snacks und einen hauseigenen "Sicherer-Ort-Tee".
Seit 2001 machen wir in Berlin sehr gute Erfahrungen damit, zum Abschluss unserer Curricula eine Theatergruppe zu engagieren, um mit den Absolventinnen und Absolventen einen unterhaltsamen und oft auch sehr bewegenden Abschluss zu gestalten: Die Eindrücke und Erlebnisse aus dem Seminar, von denen die Teilnehmer erzählen, werden dann vom Playback-Theater-Berlin spontan in Szene gesetzt.
Um die Arbeit kontinuierlich weiterentwickeln zu können, trifft sich das inzwischen über 20-köpfige Referent(inn)enteam zusammen mit Leiter(inne)n anderer Institute alljährlich eine Woche lang an einem schönen Ort - natürlich nicht nur zum Arbeiten, sondern auch zur Selbstfürsorge und Teambildung. Diese "Jahresretreats" ermöglichen eine kritische Diskussion neuer Forschungen ebenso wie den nötigen Spielraum für Innovationen jenseits evidenzbasierter Verfahren.
Eine vielversprechende methodische Entwicklung aus dem Kreis dieser Gruppe heißt "Brainspotting", das 2003 von dem New Yorker Psychoanalytiker Dr. David Grand entwickelt wurde. Bei dieser Methode signalisieren unwillkürliche Schutzreflexe wie Zucken oder Blinzeln, die in tieferen Strukturen des Gehirns ausgelöst werden, dem Therapeuten assoziative Zugänge zu traumatischen Erinnerungen. Dieser körperorientierte Zugang fördert das unverarbeitete Material sehr gezielt und gut dosierbar zu Tage. Die therapeutische Grundhaltung ist akzeptierend beobachtend, neugierig und weitgehend frei von Hypothesen, so dass Klienten ein hohes Maß an Akzeptanz und Selbstkontrolle erleben. Indem die dissoziative Abwehr eher unterstützt als unterlaufen wird, eignet sich Brainspotting besonders zur Behandlung früher und komplexer Traumatisierungen.
Um unsere Absolventinnen und Absolventen kontinuierlich über solche und andere Entwicklungen informieren zu können, haben wir einen neuen Service eingerichtet: Ohne zusätzliche Kosten erhalten unsere Absolventen auf Wunsch einen Eintrag auf unserer Website www.traumatherapie.de, vierteljährlich einen kompakten Traumatherapie-Newsletter und einmal im Jahr eine Einladung zum ebenso kostenlosen Update-Seminartag. Dieser Tag findet jedes Jahr im Anschluss an das institutseigene "Jahresretreat" und die Europäische EMDR Konferenz im Juni statt, um auch von dort die neuesten Informationen weitergeben zu können.
Unsere Seminarunterlagen sind im Laufe der Zeit so umfangreich geworden, dass daraus ein Ausbildungshandbuch entstanden ist. 2004 erschien "Traumatherapie mit EMDR" unter Mitarbeit von Ines Püschel, Karsten Gebhardt, Monique Renssen und Steffen Bambach. Ein Jahr später folgte der erste deutschsprachige Lehrfilm über Traumatherapie mit EMDR auf DVD. Als Ergänzung zum Ausbildungshandbuch zeigt dieser Film anhand eines Fallbeispiels, wie EMDR angewendet wird und erklärt die einzelnen Therapieschritte.
Zur Person
Oliver Schubbe, Dipl.-Psych., geboren 1962, Verhaltens- und Familientherapeut, EMDR Trainer, gründete nach dreijähriger Tätigkeit in San Diego 1990 das Institut für Traumatherapie in Berlin (www.traumatherapie.de), war Gründungsvorstand von EMDRIA Deutschland e.V. und initiierte das internationale Netzwerk der EMDR-Trainer (NOET).
Literatur
Institut für Traumatherapie, Oliver Schubbe (Hrsg.) Traumatherapie mit EMDR. Ein Handbuch für die Ausbildung. Unter Mitarbeit von Ines Püschel, Karsten Gebhardt, Monique Renssen und Steffen Bambach. 2., aktualisierte Auflage 2006. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.
Schubbe, Oliver (Hrsg.) EMDR - Der Lehrfilm des Instituts für Traumatherapie auf DVD.1. Auflage 2005. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.