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Alle Rechte beim Institut für Traumatherapie Oliver Schubbe bzw. beim Autor.
*Prof. Dr. med. Bessel A. van der Kolk ist Leiter des HRI Trauma Center und Professor für Psychiatrie an der Harvard Medical School, 227 Babcock Street, Brookline, Mass. 02114, USA.
**Eine Vorstufe des 'Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders' (DSM) der American Psychiatric Association erschien 1928, um dem von staatlichen psychiatrischen Anstalten in den USA geäußerten Bedürfnis nach Vereinheitlichung der Nomenklatur von psychischen Erkrankungen und Syndromen entgegenzukommen. DSM I wurde 1952, DSM II 1968 und DSM III 1980 herausgegeben. Eine wichtige Überarbeitung der dritten Auflage (DSM III-R) erschien 1987. DSM III und DSM III-R liegen auch in deutscher Übersetzung vor: Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen (DSM III). Übersetzt von K. Köhler u.a. Weinheim: Beltz 1984 (bzw. 1989 für DSM III-R). (Anm.d.Übers.)
An dieser Stelle gebührt Dr. Michael Macpherson bester Dank dafür, den vorliegenden Beitrag für diese WWW-Seiten besorgt zu haben. Außerdem danke ich dem Übersetzer Stefan Scholz (Berlin) und den International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) für die notwendige Finanzierung.
Entsetzliche Ereignisse, die jäh unser Gefühl der Sicherheit und Unverwundbarkeit durchbrechen, können den Umgang mit den eigenen Gefühlen und der Umwelt tiefgreifend beeinträchtigen. Kriegstraumata, körperliche und sexuelle Übergriffe, Unfälle und andere natürliche oder vom Menschen verursachte Katastrophen können zum Auslöser des PTSD genannten Syndroms werden (engl. 'Post Traumatic Stress Disorder', dt. 'Posttraumatische Belastungsstörung'). Die Hilflosigkeit und Wut, die solche Erlebnisse in der Regel begleiten, können den Umgang eines Menschen mit Stress nachhaltig beeinflussen, sein Selbstgefühl beeinträchtigen und die Wahrnehmung von der Welt als einem im wesentlichen sicheren und verlässlichen Ort empfindlich stören.
Ein gewisses Gefühl von Sicherheit und Verlässlichkeit ist Grundvoraussetzung für zweckorientiertes individuelles Handeln. Menschen scheinen Willkür und sinnlose Zerstörung seelisch nicht hinnehmen zu können. Sie suchen nach einer Erklärung, um eine erlebte Katastrophe verstehen zu können - normalerweise dadurch, dass sie jemanden finden, dem die Schuld zu geben ist: sich selbst oder einem Täter.
Hilflosigkeit und Wut sind eng miteinander verknüpft. In den letzten Jahren ist es deutlich geworden, dass die Intensität der ersten somatischen Reaktion auf eine potentiell traumatisierende Erfahrung der wichtigste Prädiktor für dessen langfristige Folgen ist. Ist die Stresssituation überwältigend genug, konditioniert das resultierende Trauma eine emotionale Reaktion, bei welcher der Körper schon beim geringfügigsten Reiz in Kampf- oder Fluchtbereitschaft oder Erstarrung verfällt: Der Alltag traumatisierter Menschen steht unter dem Vorzeichen des Traumas, gegenüber dem sie ständiger Alarmbereitschaft verharren. Selbst wenn sie das Trauma bewusst verarbeitet haben, empfinden viele traumatisierte Menschen auch weiterhin Angst und erhöhte körperliche Erregung bei an das Trauma erinnernden Situationen oder auch nur lauten Geräuschen. Sie reagieren mit Kampf- oder Fluchtbereitschaft, oft ohne die Herkunft solcher extremen Reaktionen zu kennen.
Obwohl schon Homer and Shakespeare in ihren Dichtungen um posttraumatischen Stress wussten, wurde dessen Existenz von der Psychiatrie erst seit 1980 allgemein anerkannt, als PTSD in das DSM III** aufgenommen wurde. Tabelle 1 (s.u.) zeigt die diagnostischen Kriterien für ein "einfaches PTSD". Seitdem ist eine zunehmende Menge an Literatur entstanden, die posttraumatische Symptome (Übererregung und Überreaktionen auf an das Trauma erinnernde Stimuli, Vermeidungsverhalten und emotionale Selbstbetäubung) anhand zahlreicher Stichproben traumatisierter Menschen dokumentiert hat: Kriegsveteranen, körperlich und sexuell missbrauchten Kindern, misshandelten und vergewaltigten Frauen, Überlebenden von Naturkatastrophen, Flüchtlingen und politischen Gefangenen.
Unabhängig von der Angstursache antwortet das Zentralnervensystem (ZNS) auf überwältigende, erschreckende und nicht kontrollierbare Erlebnisse mit konditionierten emotionalen Reaktionen. Vergewaltigungsopfer z.B. können auf konditionierte Stimuli, etwa das Herannahen eines unbekannten Mannes, mit Panik reagieren, als ob sie wieder vergewaltigt würden.
Autonome Übererregbarkeit und intensives Wiedererleben
Während Menschen mit PTSD gegenüber ihrer Umwelt zu einem emotional gehemmten Verhalten neigen, reagiert ihr Körper auf bestimmte physische und emotionale Stimuli so, als ob die Vernichtungsdrohung noch immer präsent wäre. Anhand einer Vielzahl von Stichproben hat sich gezeigt, dass mit dem Trauma assoziierte Stimuli eine konditionierte autonome Erregung verursachen. Diese hat die überlebenswichtige Funktion, den Organismus auf potentielle Gefahren aufmerksam zu machen. Die herabgesetzte Auslöseschwelle somatischer Stressreaktionen bewirkt jedoch auch, dass Menschen mit PTSD ihren Körperempfindungen als Maß für drohende Gefahr nicht mehr vertrauen können. So verlieren die Empfindungen ihre Funktion als Warnsignale, um den Organismus auf angemessenes Handeln vorzubereiten.
Emotionale Überreaktionen und Schlafprobleme
Der im Zentrum des PTSD stehende Verlust der Neuromodulation führt zu einem Verlust der Affektregulierung. Traumatisierte Menschen gehen unmittelbar vom Reiz zur Reaktion über, ohne zuvor zu merken, was sie so erregt. Auch bei kleineren Stimuli neigen sie zu heftigen Empfindungen von Furcht, Angst, Wut oder Panik. Das lässt sie entweder überreagieren und andere einschüchtern oder sich verschließen und erstarren.
Sowohl Kinder als auch Erwachsene mit einer solchen Übererregbarkeit haben häufig unter Schlafproblemen zu leiden. Entweder sind sie unfähig, sich vor dem Einschlafen zu entspannen, oder sie fürchten, Alpträume zu bekommen. Viele traumatisierte Menschen berichten von "Traumabbruchsschlaflosigkeit": sobald sie anfangen zu träumen, wachen sie auf - aus Angst, der Traum werde sich zu einem traumatischen Alptraum entwickeln. Außerdem neigen sie zu Überwachsamkeit, erhöhter Schreckhaftigkeit und Ruhelosigkeit.
Lernstörungen
Physiologische Übererregung stört die Fähigkeit, sich zu konzentrieren und aus Erfahrungen zu lernen. Neben Amnesien, die sich auf Aspekte des Traumas beziehen, haben traumatisierte Menschen auch Schwierigkeiten, sich an gewöhnliche Ereignisse zu erinnern. Durch traumabedingte Auslösereize leicht in einen Zustand der Übererregtheit versetzt und von Konzentrationsschwierigkeiten geplagt, können sie Symptome einer pathologisch verminderten Aufmerksamkeit entwickeln. Nach einer traumatischen Erfahrung verlieren viele von ihnen entwicklungsgemäße Fertigkeiten und regredieren auf frühere Formen der Stressbewältigung. Bei Kindern können bereits erlernte Fähigkeiten wieder verschwinden, etwa bei der Nahrungsaufnahme oder bei der Körperhygiene; bei Erwachsenen drückt es sich eher in übermäßiger Abhängigkeit und dem Verlust der Fähigkeit aus, überlegte und autonome Entscheidungen zu treffen.
Erinnerungsstörungen und Dissoziation
Die erhöhte autonome Erregbarkeit beeinträchtigt nicht nur das psychische Wohlbefinden. Die begleitende Angst kann auch direkt Erinnerungen an noch frühere traumatische Erfahrungen wecken. Die Verabreichung von Lactat, welches das physiologische Erregungssystem stimuliert, löst bei Menschen mit PTSD "Flashbacks" genannte Rückblenden und Panikattacken aus. Die Injektion von Yohimbin (das die Freisetzung von Noradrenalin aus dem Locus coeruleus stimuliert) konnte bei Vietnam-Veteranen mit PTSD Flashbacks induzieren. Jede erregende Situation kann Erinnerungen an lange zurückliegende traumatische Erlebnisse auslösen und Reaktionen provozieren, die in der Gegenwart unangemessen sind.
Neben Übererregung und aufdringlichen Erinnerungen können chronisch traumatisierte Menschen, vor allem Kinder, Amnesiesyndrome bezüglich des traumatischen Ereignisses entwickeln. Werden Kinder in einer Lebensphase, während der sie ihrem Entwicklungsstadium entsprechend unterschiedliche Identitäten in ihrem täglichen Spiel erproben, Opfer eines nachwirkenden und schweren Traumas, können sie manchmal ganze Persönlichkeitsanteile abspalten, um mit den traumatischen Erlebnissen fertig zu werden. Langfristig kann das zu einer Multiplen Persönlichkeitsstörung (Multiple Identity Disorder) führen, das in den USA bei etwa 4% der Patienten in stationärer psychiatrischer Behandlung zu beobachten ist. Patienten, die es gelernt haben, angesichts eines Traumas zu dissoziieren, werden sich wahrscheinlich auch weiterhin dissoziativer Abwehrmechanismen bedienen, sobald sie neuen Belastungen ausgesetzt sind. Bei manchen Erlebnissen entwickeln sie eine Amnesie und neigen dazu, auf das Gefühl der Bedrohung mit Kampf oder Flucht zu reagieren, die allesamt später nicht mehr bewusst erinnert werden können. An dissoziativen Störungen leidende Menschen sind eine klinische Herausforderung, zu der es u.a. gehört, sie in der Entwicklung ihres Verantwortungsgefühls zu unterstützen. Forensisch sind sie ein Alptraum.
Aggression und Autoaggression
Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass traumatisierte Kinder wie Erwachsene dazu neigen, ihre Aggression gegen andere oder sich selbst zu wenden. Missbrauch im Kindesalter erhöht erheblich die spätere Wahrscheinlichkeit von Delinquenz und kriminellem Verhalten. In einer Erhebung bei 87 Patienten in ambulanter psychiatrischer Behandlung fanden wir heraus, dass Patienten, die sich selbst verstümmelt hatten, ausnahmslos eine schwere Kindheit mit Misshandlung, Missbrauch und/oder Vernachlässigung hinter sich hatten. Es gibt einige Hinweise darauf, dass ein Zusammenhang zwischen der Neigung zur Selbstverstümmelung und einer veränderten Ausschüttung endogener opioider Peptide im ZNS infolge einer frühen Traumatisierung besteht. Probleme mit Fremdaggression sind besonders gut bei Kriegsveteranen, traumatisierten Kindern und Häftlingen mit einer frühen Traumatisierung dokumentiert.
Betäubung der psychischen Reaktivität
Da traumatisierte Menschen sich ihrer Schwierigkeiten bewusst sind, ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten, scheinen sie ihre Energien eher darauf zu verwenden, quälenden inneren Empfindungen aus dem Weg zu gehen, als auf die Anforderungen ihrer Umwelt einzugehen. Hinzukommt, dass sie den Gefallen an Dingen verlieren, die ihnen früher ein Gefühl von Befriedigung verschafften, und sie können sich fühlen, als ob sie "der Welt abhanden gekommen" wären. Dieses emotionale Betäubtsein kann sich als Depression, als Lustlosigkeit und Antriebsschwäche, in psychosomatischen Reaktionen und dissoziativen Zuständen äußern. Im Gegensatz zu den auffälligen PTSD-Symptomen, die als Reaktion auf äußere Reize zu beobachten sind, gehört das Betäubtsein zum Grundverhalten dieser Patienten. Unter Schulkindern, die von einem Heckenschützen angegriffen worden waren, und unter Opfern von physischer Misshandlung und sexuellem Missbrauch waren derartige Betäubungsmechanismen zu beobachten. Diese Kinder sind weniger an spielerischer sozialer Interaktion beteiligt, ziehen sich häufig zurück und werden isoliert.
Nach einer Traumatisierung hören viele Menschen auf, Freude an der Erkundung ihrer Umwelt oder der Teilnahme an Unternehmungen zu empfinden. Sie haben das Gefühl, durch das Auf und Ab des täglichen Lebens "einfach nur durchzugehen". Emotionale Taubheit beeinflusst auch die Verarbeitung des Traumas in der Psychotherapie: Patienten geben sich und ihre Heilung auf, unfähig zu Gedanken an die Zukunft. So versagt bei ihnen jene wesentliche seelische Funktion, die Freud "Denken als Probehandeln" genannt hat: das Phantasieren über Möglichkeiten und das geistige Erkunden von Wegen, auf denen Wünsche erfüllt und Triebe befriedigt werden können. Psychosomatische Reaktionen Chronische Angst und emotionale Taubheit behindern auch das Lernen, Gefühle und Wünsche zu identifizieren und artikulieren. In ihrer Kindheit traumatisierte Menschen leiden häufig an Alexithymie - an einer Unfähigkeit, somatische Empfindungen in Grundgefühle wie Zorn, Freude oder Furcht zu übersetzen. Diese Unfähigkeit, Körperempfindungen in Worte und Symbole zu fassen, hat zur Folge, dass sie Emotionen lediglich als physische Probleme erleben. Dies richtet vor allem in intimer und vertrauter zwischenmenschlicher Kommunikation verheerende Schäden an. Solche Menschen leiden an psychosomatischen Störungen und sind mit der Welt in erster Linie durch ihren Körper verbunden: Kommunikation verläuft eher über Körperorgane als über emotionale Bindungen. Risikoverhalten Einer der am meisten beunruhigenden Aspekte emotionaler Taubheit liegt darin, dass an ihr leidende Menschen, besonders Jugendliche, ein sehr hohes Maß an äußerer Stimulation benötigen, um das Gefühl zu haben, "überhaupt noch am Leben zu sein". Möglicherweise trägt dies dazu bei, dass sich so viele riskante Verhaltensweisen aneignen, Gewalt gegen sich und andere ausüben oder anfällig für dem Missbrauch von Drogen sind.
In den letzten dreißig Jahren hat die moderne Psychiatrie allmählich begonnen, die unterschiedlichen Traumafolgen für verschiedene Altersstufen zu bestimmen. So hat man neu überdacht, wie fehlende Zuwendung oder traumatische Trennungserfahrungen den Organismus in seiner Entwicklung stören können. Bowlby hat hervorgehoben, dass Bindungsverhalten zu aller erst eine überlebenswichtige biologische Funktion hat, die für Fortpflanzung und Überleben in gleicher Weise unverzichtbar ist. Eine schnell größer werdende Zahl von Untersuchungen hat gezeigt, da gestörte Bindungen in der Kindheit langfristige neurophysiologische Folgen haben können. Ein Spektrum von Untersuchungen über Störungen der Affektregulation bei Tieren und Menschen hat gezeigt, dass Misshandlung, Vernachlässigung und Trennung in der Kindheit weitreichende biopsychosoziale Folgen haben können. Dazu gehören anhaltende biologische Veränderungen, die zu einer beeinträchtigten Gefühlsmodulation führen können, zu Schwierigkeiten, neue Verarbeitungsstrategien zu entwickeln, einer herabgesetzten Immunkompetenz und der herabgesetzten Fähigkeit, sinnvolle soziale Bindungen einzugehen.
Dank der Arbeiten an Tieren, einer umfangreichen Forschungsliteratur über Folgen von Misshandlung und sexuellem Missbrauch und dank der Feldversuche für das DSM IV wurde deutlich, dass es kritische Entwicklungsphasen des ZNS gibt, während derer Kinder besonders anfällig für die Entwicklung bleibender Störungen infolge von Missbrauch, Vernachlässigung und Trennung sind. Angesichts der Tatsache, dass Traumata in frühem Alter tiefgreifende Auswirkungen auf die Affektregulation und Bewußtseinszustände haben und Einfluss darauf nehmen, wie Erfahrungen auf der somatischen Ebene organisiert werden und wie die Persönlichkeit sich an das chronische Erleben von Gefahr und Furcht anpasst, hat die PTSD-Gutachterkommission im Rahmen der Vorbereitung von DSM IV eine erweiterte Definition von PTSD empfohlen. Bislang hat nur das ICD-10 (das internationale Diagnosenglossar der WHO), aber noch nicht die DSM-Klassifizierung die anhaltenden Folgen von Traumata auf alle Persönlichkeitsfunktionen eines Menschen anerkannt. Tabelle 2 (s.u.) zeigt die einzelnen Elemente der für das DSM IV vorgeschlagenen Definition von "Schwerem PTSD".
Die biologische Grundlage der Reaktion auf Traumata ist zwar äußerst komplex, aber in den letzten vierzig Jahren haben Forschungen an Menschen und anderen Säugetieren gezeigt, dass insbesondere frühe Traumata langfristige Folgen für die neurochemische Stressreaktion haben, u.a. auf das Ausmaß der Ausschüttung von Katecholaminen, auf die Dauer und das Ausmaß der Cortisolausschüttung und auf eine Reihe anderer biologischer Systeme, wie die Regulation von Serotonin und endogenen opioiden Peptiden. Hier ein kurzer Überblick über einige dieser traumatisch bedingten, biologischen Veränderungen:
Stressreaktion und die Psychobiologie von PTSD
I. Aktivierung und Reaktion auf Gefahrensignale: Der Körper reagiert auf erhöhte physische oder psychische Anforderungen mit der Freisetzung von Noradrenalin aus dem Locus Coeruleus und von Corticotropin (ACTH) aus dem Hypophysenvorderlappen. Zwar hat man viele Details der Wechselwirkung zwischen den Hormonen der Achse Hypothalamus- Hypophyse-Nebennierenrinde (HHN-Achse) und den Katecholaminen in der Stressantwort noch kaum völlig verstanden, dennoch helfen diese unterschiedlichen Hormone dem Körper, die nötige Energie für die Antwort auf Stressoren zu mobilisieren; das reicht von einer erhöhten Freisetzung von Glukose bis zur Stimulierung des Immunsystems. In einem gut funktionierenden Organismus führt Stress zu schnellen und ausgeprägten hormonellen Reaktionen. Chronisch anhaltender Stress jedoch reduziert die Wirksamkeit der Stressreaktion und führt zur Desensibilisierung.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass bei Patienten mit PTSD eine Vielzahl von Abnormalitäten der Stress-Hormonregulation beobachtet worden ist. So war bei Kriegsveteranen im 24-Stunden-Mittel eine erhöhte Ausschüttung von Noradrenalin und Adrenalin oder ein erhöhter Cortisolspiegel im Urin zu beobachten. Die anhaltende Aktivierung der Stressantwort ist nicht nur von den Stresshormonen selbst, sondern auch von der Fähigkeit des Organismus zur Modulation von Erregungen abhängig. Serotonerger Input in den medialen Hippocampus vermindert die relative Stärke des noradrenergen Inputs, was eine Modulation der Gefahrenreaktionen ermöglicht. Wir konnten jüngst in einer Studie zeigen, da Fluoxetin, das die Wiederaufnahme (reuptake) von Serotonin an präsynaptischen Membranen blockiert, bei PTSD-Patienten eine besonders positive Wirkung auf die Fähigkeit zur Erregungsmodulation zeigt. Die klinischen Versuche mit Serotonin-Reuptake-Blockern deuten an, dass sie gegenwärtig die mit Abstand beste pharmakologische Behandlungsmöglichkeit für PTSD darstellen.
II. Betäubtsein: Gegenwärtig orientiert sich die Forschung in drei Richtungen, um die biologischen Grundlagen für die bei PTSD beobachtete Betäubung der psychischen Reaktivitaet zu erklären: A. Dämpfung des noradrenergen Systems und der HHN-Achse. Nach einer exzessiven noradrenergen Stimulation zeigen Menschen eine verminderte adrenerge Rezeptoraktivität. B. Opioid vermittelte, stressinduzierte Analgesie (SIA) ist bei Stress ausgesetzten Tieren und bei Menschen mit PTSD beschrieben worden. C. Das Serotonin-System: Es gibt ziemlich sichere Hinweise auf eine reduzierte Serotoninaktivität bei PTSD, die das Funktionieren des Hippokampus stört und die mit eine Ursache dafür sein könnte, da ankommende Sinneseindrücke als bedrohliche und nicht als neutrale Stimuli interpretiert werden. Das stört die Aufmerksamkeit auf ankommende Eindrucke, sie werden nicht als Anforderungen erkannt, denen es gerecht zu werden gilt, sondern statt dessen als traumatische Stimuli aufgefasst, die zu vermeiden sind.
III. Psychosoziale Folgen: Bedrängende Erinnerungen an das Trauma, Schuld- und Schamgefühle wegen einer (vermeintlichen) persönlichen Schuld an dem Geschehenen, Wut über Verlassenwordensein sowie die veränderte biologische Stressreaktion wirken alle zusammen und führen zu einer komplexen Beeinträchtigung der Fähigkeit von Menschen, familiäre und berufliche Beziehungen zu ihrer Zufriedenheit zu gestalten. Die Mehrheit traumatisierter Menschen leidet 1.) an dem anhaltenden Gefühl von Niedergeschlagenheit und Hilflosigkeit, 2.) an einer niedrigen Affekttoleranz, neigt zu Impulsivität und einem primär somatischen Erleben von Emotionen, 3.) an der zwanghaften Neigung, sich immer wieder in gefährliche Situationen zu begeben, 4.) an Hilflosigkeit und dem Verlust persönlicher Initiative mit der Folge, da sich die Abhängigkeit von der Gesellschaft und/oder der Familie verstärkt; außerdem 5.) kann der Mangel an Affekttoleranz dazu führen, dass traumatisierte Menschen sich von komplexen und differenzierten interpersonalen Beziehungen abwenden und sich statt dessen in exzessive Arbeit stürzen.
Der Mangel an emotionaler Anteilnahme an konkreten Beziehungen lässt das Leben nach dem Trauma sinnlos werden und setzt so dessen zentrale Rolle im Leben der Betroffenen fort: Sie können in einen Zustand generalisierter Hoffnungslosigkeit versinken oder einfach Schwierigkeiten haben, gerechtfertigte Forderungen von nicht gerechtfertigten zu unterscheiden. Unfähig, die eigene Rolle und die Rolle anderer in zwischenmenschlichen Konflikten richtig einzuschätzen, sehen sie sich häufig in vielen sozialen Kontakten wieder zum Opfer gemacht. Da sie dazu neigen, spätere Stresssituationen primär als Körperempfindungen zu erfahren und nicht als genau umrissene Probleme, die spezielle Lösungen erfordern, sind sie häufig unfähig, wirksam zu handeln. Sie begreifen nicht die Ursache der Intensität ihrer Reaktionen, die in keinem Verhältnis zu der Schwere aktueller Stressoren steht, und sie sind daher nicht in der Lage, rational zu überlegen, was zu tun ist.
Erst wenn die heftigen somatischen Reaktionen dank einer sicheren Beziehung, durch Psychopharmaka, durch Meditation und/oder Hypnose unter Kontrolle gebracht worden sind, werden sie allmählich fähig, ihr Erleben sprachlich zu strukturieren und zwischen Erinnerungen an Zurückliegendes und gegenwärtigem Stress zu differenzieren. Für viele traumatisierte Menschen bleibt die Beschäftigung mit dem Trauma auf Kosten anderer Erfahrungen ein zentraler Bestandteil ihres Lebens. Das kann die sozial und psychisch nützliche Form des Beistands für andere Opfer oder der "Zeugenschaft" annehmen. Andere Traumaopfer hingegen stehen unter dem Zwang, das Trauma in irgendeiner Weise für sich oder andere zu reproduzieren. Kriegsveteranen, die sich als Söldner anwerben lassen, Inzestopfer, die Prostituierte werden, kindliche Opfer von Misshandlung, die als Herangewachsene sich selbst verstümmeln.
Implikationen für die Behandlung
Auch wenn Menschen schreckliche Traumata erlitten haben, müssen sie irgendwie diese Schläge als Teil ihres Lebens in dieses integrieren. Traumatisierte Menschen sind hin- und hergerissen zwischen der exzessiven Beschäftigung mit der Vergangenheit und einem Gefühl emotionaler Betäubung gegenüber ihrer gegenwärtigen Umgebung. Die vom seelischen Apparat anfänglich als Schutz in der Not erzeugten Abwehrmechanismen müssen allmählich ihren Zugriff auf die Psyche lockern, damit nicht immer wieder Fragmente des Erlebten durchsickern und das Opfer zu retraumatisieren drohen. Der Versuch, das Trauma einfach zu vergessen, ist wohl selten eine hilfreiche psychologische Strategie, um es langfristig zu bewältigen. Im allgemeinen ist Freud zuzustimmen, wenn er meint, dass eine Person, die versucht, bedeutsamen Aspekten ihres Lebens aus dem Weg zu gehen, "genötigt [ist], das Verdrängte als gegenwärtiges Erlebnis zu wiederholen, anstatt es [...] als ein Stück der Vergangenheit zu erinnern." Die Fähigkeit, nach einem akuten Trauma das Erlebte in vielen Details zu verbalisieren, verhindert - wie sich gezeigt hat - sehr wirksam, die Entstehung von PTSD. In einem späteren Stadium neigen diese Menschen allerdings zu einem Gefühl von Betäubung und Langeweile, wenn sie nicht in Aktivitäten verwickelt sind, die mit dem Trauma zusammenhängen. Bei chronisch traumatisierten Menschen ist es von wesentlicher Bedeutung, sich aktiv auf die Wirkung des Traumas auf gegenwärtige Funktionen zu konzentrieren. Anderenfalls kann die Psychotherapie zuweilen die exzessive Beschäftigung mit dem Erlebten und die Fixierung an das Trauma wieder verstärken. Das Entscheidende an der Traumatisierung liegt in einem Verlust von Sicherheit und in einer Verfestigung von psychischen und physiologischen Gefahrenreaktionen. Eine vorrangige Aufgabe von Interventionen ist es daher, dem Leben des Patienten Sicherheit und Vorhersehbarkeit zu geben. Es ist also besonders wichtig, dass der Helfer dem Opfer in physischer, sozialer und emotionaler Hinsicht beisteht und hilft und bewusst den spontanen Hang vermeidet, "dem Opfer die Schuld zu geben." Eine geeignete psychopharmakologische Unterstützung kann die autonome Übererregbarkeit, die emotionale Betäubung und das extrem intensive Wiedererinnerung drastisch vermindern. Angesichts unaussprechlicher Tragödien ist die Reaktion von Helfern tendenziell problematisch. Sie können die Wirkung des Traumas auf das Opfer lindern; sie können sie aber auch vergrößern und sich selber überflüssigen Risiken aussetzen. Sie können dem Opfer die Schuld geben oder umgekehrt das Opfer entwürdigen, indem sie es infantilisieren oder fälschlich romantisieren.
Nachdem ein Trauma einen Menschen vollkommen mit seiner existentiellen Hilflosigkeit und Verwundbarkeit konfrontiert hat, kann das Leben nie mehr genau das gleiche werden wie zuvor: Das traumatische Erlebnis wird in jedem Fall zum Bestandteil des Daseins einer Person. Sich genau darüber klar zu werden, was geschehen ist, und die eigenen Reaktionen mit denen anderer Opfer zu teilen und zu vergleichen, hat sich als ungemein hilfreich erwiesen: die mit dem Trauma verbundenen Gefühle und Ereignisse in Worte zu fassen, ist entscheidend für die Behandlung posttraumatischer Reaktionen. Nach den heftigen Anstrengungen des Patienten, ein Wiedererleben des Traumas abzuwehren, kann der Therapeut nicht erwarten, da die Widerstände gegen das Erinnern unter seinen teilnahmsvollen Bemühungen zusammenschmelzen. Das Trauma kann nur dann durchgearbeitet werden, wenn ein sicheres Band mit einer anderen Person geknüpft ist; dieses kann helfen, die Psyche zusammenzuhalten, wenn die Drohung physischer Desintegration wieder erlebt wird.
Bleibt die Bearbeitung des mit dem Trauma verbundenen Materials aus, so führt dies ganz allmählich zu einer Intensivierung der mit ihm verbundenen Gefühle und körperlichen Zustände, was seinerseits ein verstärktes somatisches, visuelles oder verhaltensmäßiges Wiedererleben zur Folge haben kann. Sind die traumatischen Erlebnisse einmal räumlich und zeitlich lokalisiert, kann eine Person anfangen, zwischen gegenwärtigen Stresssituationen und dem zurückliegenden Trauma zu differenzieren und so die Bedeutung des Traumas für das aktuelle Erleben zu vermindern.
Es reicht jedoch nicht, nur über das Trauma zu sprechen: Die Überlebenden von Traumata brauchen Handlungen, die den Triumph über Hilflosigkeit und Verzweiflung symbolisieren. Die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem und das Vietnam Memorial in Washington D.C. sind gute Beispiele für Symbole für Opfer, welche die Toten betrauern und traumatischen Ereignissen eine historische und kulturelle Bedeutung geben. Vor allem können sie den Überlebenden vor Augen fuhren, welche Hilfe das gemeinsame Erinnern sein kann. Das gilt ebenso für andere Überlebende, auch wenn sie vielleicht nicht ebenso sichtbare Denkmäler und gemeinsame Symbole errichten können, um sich um diese zu versammeln, um zu trauern und um ihre Scham über ihre eigene Wehrlosigkeit auszudrücken. Das kann in vielen Formen geschehen, im Schreiben eines Buches, in politischer Aktion, in der Hilfe für andere Opfer oder durch irgendeine andere der unzähligen kreativen Lösungen, die Menschen finden können, um auch der verzweifeltsten Bedrängnis zu widerstehen.
Herman, J. L.: Trauma and Recovery. New York: Basic Books 1992.
van der Kolk, B. A, McFarlane AC: Traumatic Stress: Human Adaptations to Overwhelming Experience. Guilford Press 1995.
van der Kolk BA: The Black Hole of Trauma: Memory, Trauma, and the Integration of Experience. New York, Guilford Press, 1996.
A.
1. Lebensbedrohliches Erlebnis, gefolgt von
2. intensiver subjektiver Not.
B. Wiedererleben des Traumas:
1. wiederkehrende eindringliche Erinnerungen oder Wiederholung im Spiel;
2. wiederkehrende Alpträume;
3. plötzliches Verhalten oder Empfinden, als ob das traumatische Ereignis sich wiederholen würde;
4. intensive seelische Not, bedingt durch die wiederholte Konfrontation mit Ereignissen, die an das Trauma erinnern;
5. physiologische Reaktionen bei erneuter Konfrontation.
C. Anhaltendes Vermeidungsverhalten oder Betäubtsein der allgemeinen Ansprechbarkeit:
1. angestrengtes Vermeiden von mit dem Trauma verbundenen Gedanken oder Gefühlen;
2. angestrengtes Vermeiden von Aktivitäten;
3. psychogene Amnesie;
4. vermindertes Interesse an vormals wichtigen Aktivitäten;
5. Gefühle von Distanziertheit und der Entfremdung;
6. Gefühl einer verstellten Zukunft.
D. Anhaltende Symptome erhöhter Erregbarkeit:
1. Ein- und/oder Durchschlafstörungen;
2. Gereiztheit oder Wutausbrüche;
3. Konzentrationsschwierigkeiten;
4. Überwachsamkeit;
5. übermäßige Schreckhaftigkeit.
I. Beeinträchtigte Regulation von Affekten und Impulsen:
A. Affektregulation
B. Modulation von Zorn
C. Selbstzerstörung
D. Suizidgedanken
E. Schwierigkeit, sexuelle Aktivität zu modulieren
F. exzessives Risikoverhalten
II. Aufmerksamkeitsstörungen oder Bewusstseinstrübungen:
A. Amnesie
B. vorübergehende dissoziative Episoden und Depersonalisation
III. Somatisierungen:
A. Verdauungsstörungen
B. chronische Schmerzen
C. kardiopulmonäre Symptome
D. Konversionssymptome
E. gestörte Sexualität
IV. Störungen der Selbstwahrnehmung:
A. Hilflosigkeit
B. permanenter Schaden
C. Schuld und Verantwortlichkeit
D. Scham
E. Gefühl des Unverstandenseins
F. Herabsetzung der eigenen Person
V. Gestörte Wahrnehmung des Angreifers:
A. Übernahme verdrehter Ansichten
B. Idealisierung des Angreifers
C. exzessive Beschäftigung mit Rachephantasien
VI. Gestörte Beziehungen zur Umwelt:
A. Unfähigkeit zu vertrauen
B. Wieder zum Opfer werden
C. Andere zu Opfern machen
VII. Gestörte Motivation und Orientierung:
A. Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit
B. Verlust früherer persönlichkeitsstabilisierender Überzeugungen