Medikamentengabe und psychotherapeutische Prozesse treffen sich an der Schnittstelle sehr unterschiedlicher Paradigmen.
So ergeben die meisten Forschungen der unterschiedlichen psychotherapeutischen Prozesse, solange sie schulenübergreifend sind, dass die methodische Ausrichtung für den Erfolg einer psychotherapeutischen Behandlung relativ unerheblich ist. Lambert et al. (1986) sowie Miller et al. (1997) haben in Literaturübersichten über Therapieerfolgsforschung darauf hingewiesen, dass die erfolgsbeeinflussenden Faktoren für die Änderung in einer Therapie sich nur zu 15% auf Technik- und Modellfaktoren zurückführen lassen, mit gleicher Häufigkeit werden Plazebofaktoren aufgeführt, sehr viel wichtiger werden die Beziehungsfaktoren mit 30% und am wichtigsten werden die (außertherapeutischen) Klientenfaktoren mit 40% eingestuft.
Wenngleich diese Prozentzahlen so nicht überall widerspruchslos akzeptiert werden dürften, werden die zugrundeliegenden Prozesse von Änderungen der Patienten während einer Therapie in den seltensten Fällen als lineares Geschehen aufgefaßt. Die einfachsten Modelle gehen zumindest von einem Wechselwirkungsgeschehen aus. Folgerichtig werden zunehmend differenziertere psychotherapeutische Ansätze für die unterschiedlichsten Leidenszustände entwickelt. Ein Wirklichkeitsanspruch übergreifender Schulen und Strömungen, für alle Störungen zuständig zu sein, wird vermehrt in Frage gestellt.
Weiter wird der Patient in der Psychotherapie zunehmend als Partner wenn nicht als Führer verstanden, der die tatsächlichen Ressourcen zur Veränderung alleine in sich birgt und der Therapeut quasi als Katalysator oder im Sinne von Maturana (1985) als "Verstörer" tätig wird.
Das Arzneimittelgesetz und die Arzneimittel-Hersteller vertreten in der Kombination natürlich einen ganz anderen Anspruch. So sollen mit spezifischen Wirkstoffen über möglichst große Gruppen von Patienten mit gleichem oder ähnlichem Leiden aus Gründen der Arzneimittelsicherheit, der Arzneimittelökonomie und der Wirtschaftlichkeit ein lineares Verhältnis von Medikamentengabe und Medikamentenwirkung erzielt werden. Die Beipackzettel in den Medikamentenpackungen deuten an, dass sich ein solches Paradigma bei genauerem Hinsehen nicht aufrecht erhalten lässt, für einen differenzierteren Forschungsansatz fehlt es oft an Bereitschaft.
Es fehlt, insbesondere bei Psychopharmaka, an der Bereitschaft seitens des Gesetzgebers, die Vorgaben einer einseitig am biomedizinischen Krankheitsmodell orientierten Forschung in Frage zu stellen. Weiter haben die Arzneimittel-Hersteller kein Interesse, Mittel zur Verfügung zu stellen, die nur für kleine Gruppen von Patienten wirksam wären, da die Gewinnerwartung und der finanzielle Einsatz schwerlich passend zu machen wäre.
Bei der Medikamentenabgabe hingegen findet sich weiterhin immer noch eine Beziehungskonstellation, in der der Arzt als Mächtiger und hierarchisch Übergeordneter das Sagen hat, während der Patient sich als "Ort" einer Maßnahme versteht und verstanden wird. (die Tonnen der jährlich verschriebenen und unbenutzt entsorgten Medikamente sprechen wohl gegen die Sinnhaftigkeit solcher Auffassungen)
Ein systematischer Ansatz, der die Interaktion von Psychopharmakotherapie und Psychotherapie untersucht, ist aus diesen Paradigmendifferenzen nur begrenzt vorstellbar, Ausnahmen erscheinen die Versuche von Gastpar und Teusch (1998, 1999 und 2000).
Die Behandlung posttraumatischer Zustände mit Hilfe von Medikamenten hat in der psychiatrischen Wissenschaft bei weitem nicht den Stellenwert, den wir bei der Behandlung anderer seelischer Störungen finden.
Das erstaunt insofern, als dass die Grenzlinien zwischen den physiologischen und physiologischen Prozessen nach dem Erleiden von Traumata bei weitem nicht so eindeutig und klar sind, wie sich dass die Protagonisten des einen oder des anderen "Lagers" wünschen möchten. Ganz im Gegenteil scheint es mittlerweile klar, dass für die Entwicklung aller Lebewesen eine bestimmte "Menge" Stress notwendig ist; je lernfähiger das Säugetier ist, desto mehr muss es auch gelernt haben, mit Stress umzugehen. G. Hüther (1998) unterscheidet zwischen "gutem" und "schlechtem" Stress, indem er die Begriffe kontrollierbarer und unkontrollierbarer Stress einführt.
Wir kennen eine Vielzahl der Transmitterfunktionen als Stressantwort auf kontrollierbaren und unkontrollierbaren Stress, wissen, ob der physiologischen und abnormen Funktionen von Opioiden, Kortikosteroiden, Adrenalin und Noradrenalin. Die modernen bildgebenden Verfahren wie fMRT und PET geben uns Hinweise auf die neuroanatomischen Korrelate der PTBS-Symptomatologie. Diese umfänglichen Kenntnisse haben aber nicht zu einer - wie beispielsweise in der Schizophrenieforschung - zielgerichteten Psychopharmakologie der PTBS geführt.
Umgekehrt nehmen viele Patienten nach einem schweren Trauma dauerhaft oder vorübergehend Medikamente in der Hoffnung, damit ihre Symptome lindern zu können. Diese Medikation ist wie der häufige Drogen- und Alkoholkonsum und -missbrauch als Selbstbehandlung zu interpretieren (Bremner, 1994).
So finden sich besonders in der PTBS-Literatur der 80er Jahre Behandlungsempfehlungen, die einer Monotherapie mit Medikamenten das Wort sprechen. Hier sind zu unterscheiden Empfehlungen älterer Arbeiten wie von Rosen (1990) oder auch Friedmann (1988, 1990), die entsprechend dem damaligen Wissensstand folgende Medikamente befürworten:
Danach wären Antidepressiva die Medikamente, die den größten Erfolg zu verbuchen hätten. Die Wirksamkeit von Amitryptilin, Desipramin, Imipramin und Doxepin scheint sich dabei hinsichtlich des Rückgangs von Alpträumen, Flashbackerlebnissen, Schreckreaktionen und Panikangaben nicht zu unterscheiden. Rosen weist darauf hin, dass bei den Studien nicht genau zu unterscheiden ist, ob die Antidepressiva nicht nur auf einer Reduktion der Impulsivität und aggressivem Verhalten beruht, was sich aus der serotonergen Aktivität ableiten ließe.
Wie die Antidepressiva ist Lithiumcarbonat als serotonerges Medikament wirksam bei der Behandlung der Wutanfälle, der Reizbarkeit, der Alpträume, den aufdringlichen Gedanken und chronischen Schmerzen.
Auch die MAO-Hemmer wirken nach Davidson et al. (1987) sich günstig auf Flashbackerlebnissen, sich aufdrängenden Erinnerungen aus. Neuroleptika werden als unbrauchbar eingestuft (Bleich et al. 1986). Auf hypothetischer Grundlage wird die Nützlichkeit von Carbamazepin (s.u.) und Benzodiazepine herausgestrichen.
Für die Medikamente der jüngeren Generation (MAO-Hemmer, SSRI,) oder Medikamente aus ursprünglich anderen Indikationsbereichen (Valproate) liegen keine Studien mit einem überzeugenden Studiendesign (Ausnahme s.u. van der Kolk, 1996) vor.
Autoren, die eher den Psychotherapeuten zugerechnet werden, vermitteln, dass der Gabe von Medikamenten etwas Problematisches bis Anrüchiges anhafte, und die Medikamentengabe wenn, nur vorübergehend sein solle (Hofmann, 1999). Das Argument auf wenige ausreichend gesicherte Studienergebnisse wird ins Feld geführt. Eine Reihe von Autoren, die Traumabehandlung und Ausbildung in Traumatherapie vermitteln wollen, vermeidet einfach das Thema Psychopharmakologie (Butollo, 1997; Wirtgen, 1997).
Einen anderen Weg beschreiten Davidson und van der Kolk (1996), die die verschiedenen Symptome und biochemischen Veränderungen durch die traumatisierende Belastung hinsichtlich einer differenzierten und selegierten Medikation untersuchen. Ein solcher Zugang eröffnet die Chance, zukünftig eine differentielle Psychopharmakotherapie zu entwickeln.
Van der Kolk geht dabei grundsätzlich von der Vorstellung aus, dass Kliniker sich bei der Anwendung von Medikamenten auf klinische Erfahrung und veröffentlichte Forschungsergebnisse stützen sollten, welches spezifische Medikament für welchen bestimmten Patienten nützlich ist. Dabei betont er die Fragwürdigkeit mancher Studiendesigns. In einer eigenen Überprüfung zeigt er einen deutlichen Unterschied in der Reaktivität von Fluoxetin (einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) zwischen einer Population von amerikanischen Kriegsveteranen und einer Kontrollgruppe von PTBS-Patienten ohne Kriegserfahrung.
Solche Ergebnisse zeigen, dass eine differentielle Psychopharmakotherapie davon lebt, dass Ergebnisse fortgetragen werden, hier, dass Studien über die Wirkung von Medikamenten bei Kriegsveteranen sich nicht auf Nicht-Veteranen-Populationen übertragen lassen. Ob sich eine solche Nicht-Übertragbarkeit auf Medikamente reduzieren lässt, oder nicht auch z.B. auf psychotherapeutische Methoden, müßte im Einzelnen überprüft werden.
Davidson und van der Kolk begehen ihre differenzierte Betrachtungsweise mit zwei Zugangswegen. Einmal beschreiben sie die bisher bekannten biologischen Modelle, auf denen die posttraumatischen Störungen zurückgeführt werden und hypostasieren, welche Medikamente bei einem entsprechenden Modell wirksam sein müßten.
Die beiden wichtigsten Modelle, die von Ihnen beschrieben werden (und die in den letzten Jahren erheblich ausgeformt worden sind) sind das der noradrenergen und der serotonergen Dysregulation.
Bei der noradrenergen Dysregulation könnte es danach so sein, dass der die zentrale Struktur Locus coeruleus als Alarmzentrum überreagiert und mangelhaft reagiert. Mittel, die den Locus coeruleus "beruhigen", müßten bei bestimmten Störungen der PTBS hilfreich sein (MAO-Hemmer, trizyklische Antidepressiva, Clonidin, Benzodiazepine und betaadrenerge Blocker)
Die serotonerge Dysregulation bei PTBS Patienten hat offensichtlich Einfluß auf die zentralen Variablen "konditionierte Vermeidung", "Belastungsresistenz", "Schlafregulation" und "Impulskontrolle", Mittel mit serotonerger Wirkungsweise (z.B. SSRI-Hemmer) haben offensichtlich eine günstige Wirkung bei Patienten mit o.g. Symptomkonstellationen.
Weitere Modelle nach van der Kolk sind das sogenannte "kindling" und die "erhöhte Schreckreaktion".
Bekannt ist, dass generalisierte elektrische Abläufe weitere Abläufe bahnen können. So kann ein epileptischer Anfall weitere epileptische Anfälle "triggern". Ähnliches stellt man sich als Senkung der "Anfallsschwelle" vor, bei der eine intrusive Symptomatik weitere Intrusionen fördert. Als Langzeitveränderungen würde das bestimmte Zeitmuster der intrusiven Symptomatik bei chronischen PTBS-Patienten erklären. (Solche "Anti-Kindling Medikamente" wären Carbamazepin oder Valproiate)
Die erhöhte "Schreckreaktion" könnte nach van der Kolk ein genetisches Phänomen sein. Da es sich um ein besonders schwieriges und bei manchen Patienten besonders die Lebensqualität beeinflussendes Symptom sein kann (und bei manchen Patienten recht erfolgreich auch der Psychotherapie widersteht), sei zu überlegen, ob hier nicht entsprechende Medikamente hilfreich seien (Cloanzepam und Buspiron). Hier wird der Hinweis gegeben, dass manche Antidepressiva nicht, andere, wie das oben erwähnte Fluoxetin (SSRI-Hemmer) sogar die Schreckhaftigkeit erhöht.
Der zweite Zugangsweg von van der Kolk und Davidson ist eine differenzierte Aufschlüsselung der Symptome der PTBS und die unterstellten Wirkungen von Medikamenten. Im Folgenden die wohl gesicherten Wirkungen:
Fluoxetin (s.o.) vermag wohl die Neigung, eintreffende Reize als Wiederkehr des Traumas zu interpretieren, signifikant reduzieren. Weiterhin vermag es das Einsetzen kognitiver Funktionen zur Interpretation affektiv besetzter Themen zu steigern.
Der Verlust der Affektregulation mit einer unmittelbaren Aktivierung eines Reiz-Reaktionsschemas bei traumabezogenen Erinnerungsauslösern führt bei PTBS-Patienten dazu, dass sie nicht mehr herausfinden, was sie so aufregt. Sie vermögen sich nicht mehr zu beruhigen. Die heftigen Emotionen führen zu interaktiven Phänomenen, beispielsweise in denen sie überreagieren, andere einschüchtern oder auch sich verschließen.
Diese Phänomene betreffen Erwachsene und Kinder, Ergebnisse solcher Affektregulationen können sein, dass Schlafstörungen (erheblichen Ausmaßes) auftreten können, da sich die Patienten nicht beruhigen können und u.U. Angst vor traumabezogenen Alpträumen haben. Im Ergebnis schneidet die emotionale und kognitive Verengung das Individuum von seiner inneren Welt der Phantasie und Symbole ab (s. auch Barwinski Fäh, 2001).
Benzodiazepine vermögen bei Tieren und Menschen konditionierte und generalisierte Erregungen vermindern. Übererregung stört die Fähigkeit, Erfahrungen in Worte zu fassen, (damit von Psychotherapie zu partizipieren) und führt damit zu einer Entladung von emotionalen Spannungen in Handlungen (wie wir es bei Kindern sehr häufig sehen).
Eine Reduktion von Vermeidungsverhalten könnte dann induziert werden, wenn die Patienten spüren, dass die Übererregung erfolgreich eingedämmt worden ist.
Die Reduktion von komorbider Depressivität und Selbstbetäubung (numbing) dürfte wegen der Häufigkeit und die Lebensqualität einschränkenden Dynamik ein zentrales Anliegen sein. Nach Davidson und van der Kolk ist die Depression bei der PTBS nicht nur ein sehr häufiges Geschehen sondern dass sich diese Depression physiologisch und psychologisch von einer typischen Depression unterscheidet. Weiter ist sie wohl resistenter gegenüber herkömmlichen Antidepressiva. Das sogenannte "numbing" spricht auf Antidepressiva nur beschränkt an, eine Ausnahme scheint das schon erwähnte Fluoxetin zu sein.
Die Reduktion psychotischer und dissoziativer Symptomatik bei der PTBS sollte zurückhaltend bezüglich der Intensität der psychotischen Verarbeitung gewertet werden, da die Patienten hier nochmals tatsächlich erlebte Ereignisse durchleben. Sie sollen auf antipsychotische Medikamente in sehr geringer Dosis ansprechen (Sapota et al. 1991). Die akustischen Halluzinationen (im Kopf) oder der Gedankenentzug sowie die passive Beeinflussung dürften regelmäßig eher nicht auf antipsychotische Medikamente reagieren.
Über den Ansatz von van der Kolk hinausgehend versucht Teusch (2000) den Weg einer Interaktion von Psycho- und Pharmakotherapie aufzuweisen. Bezüglich der Indikation der verschiedenen Medikamente gehen seine Empfehlungen nicht über die von van der Kolk hinaus. Er differenziert aber zum einen zwischen Patienten, die wegen der Ausprägung und Intensität des Leidens ausschließlich oder zumindest vorübergehend nur mit Medikamenten klar kommen, und sei es zu einer Verbesserung der therapeutischen Beziehung, zum anderen einer sequentiellen Therapie von Psychopharmaka und drittens der Unterstützung von Psychotherapie durch Medikamente im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplanes, beispielsweise bei einer Expositionstherapie in besonders schweren Fällen.
Dabei diskutiert er sehr wohl die zeitweise dadurch komplizierter werdende Beziehung zwischen Arzt und Patient und fordert die Beachtung der spezifischen Übertragungsverhältnisse bei der Gabe von Medikamenten. Auch die Frage, ob die Psychotherapie und die Medikamentengabe in einer Hand sein sollen, wird mit dem Hinweis auf die Fachkompetenz aufgegriffen.
Eine interaktionnelle Fragestellung greifen van der Kolk und Davidson auf, wenn sie feststellen, dass die Störung der Affektregulation mit dem Reiz-Reaktionsschema dazu führt, dass PTBS Patienten häufig Probleme haben, eine Psychotherapie aufzusuchen um die Bedeutungen ihrer Erfahrung zu reflektieren und wiederaufbauende Aktionen zu planen.
Die emotionale Taubheit (numbing) führt häufig dazu, dass Patienten nicht den Weg zur Psychotherapie finden, da sie den Patienten eine Vorstellung verbaut, sich eine Zukunft für sich vorzustellen, die mit Lösungen zu tun hat. Beide Vermeidungsstrategien sind mit einer vorübergehenden Medikation bearbeitbar.
In den Lehrbüchern des EMDR wird nur selten und am Rande die medikamentöse Behandlung von Patienten diskutiert, die gleichzeitig oder sequentiell mit EMDR behandelt werden sollen. Hofmann (1999) erwähnt die grundsätzliche Medikation mit antidepressiven Medikamenten als häufigste Medikation jeglicher traumabearbeitenden Psychotherapie. Dafür hätten sich Serotonin-Wiederaufnahmehemmer bewährt und in Studien seien gewisse stabilisierende Effekte belegt.
Kritisch wird von Hofmann der Einsatz hochpotenter neuroleptischer Medikamente gesehen, der Einsatz von Benzodiazepinen könne auf eine akute Phase beschränkt werden. Mittelpotente Neuroleptika könnten in der Frühphase in der Therapie von Schwersttraumatisierten eingesetzt werden.
Hofmann weist darauf hin, dass nach der Reduktion von Medikamenten bereits bearbeitete Erinnerungen oder Auslöser u.U. erneut bearbeitet werden müssen, darauf der Patient im Vorhinein hingewiesen werden solle, damit er dies nicht als Rückfall auffasse.
Lovett (1999) beschreibt den 6jährigen Darius, der der Beschreibung nach unter einer prolongierten Trauerreaktion als auch einer kindtypischen posttraumatischen Störung litt. Dieser Junge sei (wegen der Impulssteuerungsproblematik und Konzentrationsstörung) erfolglos mit Amphetaminabkömmlingen (Dexedrin und Ritalin) behandelt worden. Mit einer für dieses Alter mittleren Dosis von 25mg Imipramin sei er recht gut ausgekommen (verbesserte Konzentrationsleistung), eine höhere Dosis habe ihn noch gereizter gemacht. Den weiteren sozialen Abstieg mit dem Besuch der Sonderschule für emotional gestörte Kinder habe diese Medikation nicht verhindern können.
Insgesamt scheint die Gabe von Medikamenten zu Recht bei Kindern und Jugendlichen zurückhaltend gehandhabt zu werden. Allerdings scheint auch dann, wenn Kinder und erheblichen Folgen von Traumatisierungen leiden und einer unmittelbaren Psychotherapie nicht zugänglich sind, die Kommunikationsfähigkeit beeinträchtigt ist oder aus anderen Gründen ein Zugang verwehrt ist, eine Medikamentengabe verweigert zu werden.
Beschrieben werden sollen mehrere Fälle, in denen der Entschluß zur Medikamentengabe aus den unterschiedlichsten Gründen diskussionswürdig war und Überlegungen eröffnet werden können, Medikamente im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplanes zu verabreichen.
(1) B. kommt als 18-Jährige zu einer stationären Aufnahme. Die Aufnahme findet gegen Ende Juni statt, seit März befinde sich B. in einem für die leibliche Mutter und die Pflegemutter schwierigen Ausnahmezustand, der eine Versorgung im häuslichen Bereich nicht mehr ermögliche. Die früher gute Gymnasialschülerin sei kognitiv nicht mehr zu erreichen, komme in der Schule nicht mehr klar, sei vermehrt auch nicht mehr zu Hause, der Funktionszustand reduziere sich zunehmend. Sie lasse sich nicht mehr auf die häuslichen Regeln ein, treffe sich verstärkt mit anderen Jugendlichen an einem Treffpunkt, der eher Mittelpunkt einer Drogenszene sei, an dem es auch sexuell sehr freizügig zugehe. Angefangen habe es, besonders schwierig zu werden, als sie zu einem Schüleraustausch im Ausland gewesen sei. Dort habe es bei den Austauscheltern und im Umgang schwierige Verhaltensweisen gegeben, die darauf hingewiesen hätten, dass die Schamgrenze der jungen Frau deutlich gesenkt gewesen sei und auch die hygienischen Vorstellungen deutlich nachgelassen hätten.
Psychopathologisch zeigt B. bei der Aufnahme wach aber in der Orientierung sowohl zur Zeit als auch insbesondere zum Ort deutlich eingeschränkt. Die mnestischen Fertigkeiten zum Kurzzeitgedächtnis sind eingeschränkt, das Langzeitgedächtnis scheint ungetrübt. Die Aufmerksamkeit, die Konzentration und die Auffassung sind deutlich reduziert, bei weitem nicht auf dem Niveau einer Gymnasiastin.
Im Verlauf zeigte sich eine Vielzahl dissoziativer Symptome einschließlich des Wechsels ganzer vordergründiger Persönlichkeitsanteile.
Unter der Diagnose einer Belastungsstörung einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung wurde zunächst ein rein psychotherapeutischer Behandlungsversuch mit einem unterschiedlichen Methodenrepertoire durchgeführt, ohne dass sich eine Veränderung des Zustandsbildes entwickelt hätte.
Die parallel durchgeführte biologische Diagnose ergab schließlich eine Neuroborreliose. Den Angaben gemäß war B. als 16-Jährige von einer Zecke gebissen worden, das Krankheitsbild war bei der retrospektiven Anamnese als schleichende Entwicklung seit diesem Zeckenbiss interpretierbar.
Eine 14-tägige Antibiotikatherapie und eine neuroleptische Behandlung mit Truxal, später in der Kombination mit Risperdal führten allmählich zu nachhaltiger Verbesserung des Zustandsbildes. Die Entlassung erfolgte mit der Vorgabe einer Belastungserprobung im Gymnasium nach einer Rückversetzung.
(2) Die 34jährige Patientin K. kam zur EMDR Behandlung nach einer langen Odyssee unterschiedlichster Behandlungsansätze. Die letzte Diagnose lautete Agoraphobie und Panikstörung, die verhaltenstherapeutische Behandlung wollte sie nicht fortsetzen, da nach ihrer Meinung der Therapeut zu wenig auf ihre Anmutung einging, dass sie bei einem Kuraufenthalt als 5-Jährige ein Trauma erlitten haben müsse.
Sie wollte einerseits ihre Symptome loswerden, die sie daran hinderten, seit 5-6 Jahren aus dem Hause zu gehen, andererseits Gewissheit bekommen, ob denn nun auch in diesem Alter etwas vorgefallen sei. Ein Missbrauchsvorfall als 9-Jährige in einer Kirche mit drei anderen Kindern war erinnerlich und konnte gut bearbeitet werden.
Die Patientin kam mit einer Benzodiazepambehandlung, die recht willkürlich nach Bedarf und bei großer Unzufriedenheit der Patientin ob der wahrgenommenen Abhängigkeit durchgeführt worden war.
Obwohl die Patientin in vielen Bereichen große Fortschritte machte, sowohl bezüglich des Befindens als auch der sozialen Möglichkeiten, ließen sich hinsichtlich der Agoraphobie nur wenige Entwicklungen verzeichnen. Weiter zeigten sich sehr amorphe körperliche dissoziative Phänomene, die einer Behandlung nur sehr langsam zugänglich waren.
Wir vereinbarten schließlich nach längerer Bedenkzeit der Patientin eine Behandlung mit einem SSRI-Medikament. Nach der bei diesem Medikament üblichen Latenz (und natürlich auch einer Zeit, in der die übrige Behandlung fortschritt) war die Patientin erstmals seit 8 Jahren wieder imstande, eine Fortbildung an einem anderen Ort durchzuführen und macht seitdem kontinuierlich Fortschritte, auch die dissoziative Symptomatik hat sich etwas gebessert.
(3) Ein 38-jähriger kurdischer Flüchtling wird von einer Kureinrichtung zur weiteren Behandlung möglichst mit EMDR überwiesen. Der 30-Jährige wirkt hemiplegisch, weil ihm während der Folter Arme und Beine so aus den Gelenken gerissen worden sind, dass Gewebe und Nerven nur noch teilweise zusammen gewachsen sind.
Bis 1996 ist er nach der Flucht als 19-Jähriger 1989 in Deutschland recht gut zurecht gekommen. Er arbeitete, hat versucht, sich selbständig zu machen, und führt eine kinderreiche Familie mit der Frau, die ihn von Kurdistan begleitete.
Nach einem Bagatellunfall im Auto dekompensierte er völlig. Er entwickelte einen Diabetes, dessen Insulinbedarf streng mit seinen nächtlichen Alpträumen korreliert, seine Schmerzen und neurologische Symptomatik sind tageweise unausstehlich und die PTBS Symptomatik sowie eine dezente dissoziative Symptomatik lässt Lebensqualität nicht zu.
Der Versuch, mit ihm äußere und innere Stabilisierung sowie einen sicheren Ort zu generieren, scheitert immer wieder. Erst eine milde neuroleptische und antidepressive Medikation ermöglichen wieder die Partizipation an familiären und sozialen Umständen.
Der Versuch einer psychotherapeutischen Behandlung dauert an.
Die Medikamentengabe bei der psychotherapeutischen Behandlung findet oft mit erheblichen Bedenken seitens der Behandler statt und kann damit, bedenkt man alleine den Plazeboeffekt jeglicher Behandlungsmaßnahme, nicht sonderlich effektiv sein.
Die Medikation sollte u.E. im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplanes gemeinsam mit dem Patienten erstellt werden. In ihm sollten alle Für und Wider aller Maßnahmen sorgfältig in eine zeitliche Entwicklung gebracht werden, die der Patient regelmäßig bewertet. Dieser ist damit bei aller fachlichen Kompetenz bezüglich der Medikamentenwirkung und damit der Empfehlung bezüglich des Medikamentes, der Dauer und der Dosis in der zentralen verantwortlichen Position, was den Fortgang der Therapie angeht.
Die psychotherapeutische Behandlung von posttraumatischen Störungen sollte von einem solchem Regelwerk keine Ausnahme machen. Das "äußere" Phänomen Trauma, welches wir am ehesten im Sinne der "traumatischen Situation" nach Fischer (Fischer, Riedesser, 1998) als Wechselwirkung zwischen dem Erleben einer realen äußeren Situation und einer psychischen Disposition begreifen, stößt auf eine, wie wir finden, besonders eindrucksvolle Weise auf unterschiedlichen Ebenen eine Kaskade von psychobiologischen Prozessen an. Diese müssen in einem Gesamtbehandlungsplan sowohl den biologischen als auch den psychischen Zuständen auf einer Zeitachse angemessen berücksichtigt werden.
EMDR als eine, wie wir finden, sehr wirksame Form der Traumabehandlung, kann hierzu keine Ausnahme machen. Während die sogenannten einfachen Traumata sicherlich mit einer rein psychischen Behandlung z.B. mit EMDR auskommen, sehen wir die Behandlung von schweren und komplexen, sequentiellen oder kumulativen Traumata, Traumata aufgrund von Vernachlässigung, Opfer von staatlicher Gewalt wie Folter und Opfer schwerer innerfamiliärer Übergriffe sowie spezielle psychopathologische Entwicklungen wie Dissoziativität in der Notwendigkeit, weitere Effizienz und Effektivität zu entwickeln.
Diese Notwendigkeiten verlangen den Einsatz aller Mittel im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplanes, also auch den angemessenen und wohldosierten Einsatz von Medikamenten. Da wo sich Patienten sonst unter Umständen über Jahre quälen, kann in sorgfältiger Abstimmung mit dem Patienten eine Linderung von Leid auch mit der Medikamentengabe erreicht werden, die dem Patienten vorzuenthalten kaum gerechtfertigt erscheint. Eine aktive Zuwendung seitens der Behandelnden auch mit einer möglichen Arzneimittelgabe würde den Weg eröffnen, differenziert über das richtige Medikament in der angemessenen Dosierung und einen sinnvollen Zeitraum für einen bestimmten Patienten nachzudenken.
EMDR in der Behandlung bei Kindern hat sich sowohl für Anpassungsstörungen als auch bei posttraumatischen Störungen als fruchtbarer und wirksamer Ansatz erwiesen. Insgesamt ist aus gutem Grunde der Einsatz von Medikamenten im Kindes- und Jugendalter besonders zurückhaltend zu handhaben. Außerdem sind bei Kindern und Jugendlichen die weiteren Situations- und Kontextvariablen wie beispielsweise die Eltern und die Familie in besonderer Weise in einen Gesamtbehandlungsplan mit einzubeziehen. Das führt bei der Frage der Notwendigkeit einer Medikamentengabe eine Vielzahl von Interaktionsparameter ein. Trotzdem wäre es wünschenswert, wenn eine pragmatischere Sichtweise wirksame Hilfestellung vereinfacht, als das aus ideologischen Gründen Kindern medikamentöse Unterstützung verweigert wird.
So wissen wir nicht, ob die steigende Anzahl von aufmerksamkeitsgestörten Kindern etwas mit Diagnosegewohnheiten, mit Umweltkomponenten, mit Leistungsanforderungen oder mit veränderten pädagogischen Prinzipien zu tun haben. Insofern wissen wir auch nicht, ob eine Störung der Aufmerksamkeit etwas mit einer Noradrenalin-Dysregulation zu tun hat, wofür es Hinweise gibt, wenn auch noch keine Beweise. Wenngleich anzunehmen ist, dass die Art der Noradrenalin-Dysregulation eine andere ist als die bei der PTBS hypostasierten, lässt sich zumindest nicht ausschließen, dass sowohl für bestimmte Aspekte der ADS oder der ADHD-Variationen der EMDR-Behandlung als auch (oder und) eine medikamentöse Behandlung der Noradrenalin-Dysregulation hilfreich ist.
Entsprechende Konstellationen lassen sich aus dem zunehmenden neurobiologischen Wissensstand ableiten. Es wäre daher wünschenswert, wenn einerseits Forschungsanstrengungen unternommen werden würden, auch um im Bereich der Anwendung von EMDR und Medikamenten bei Kindern und Jugendlichen interaktionelle Wirkungen näher definieren zu können, andererseits ein Forum entsteht, Erfahrungen aus Einzelfällen zusammenzutragen und entsprechend auszuwerten.
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